Den Krankenkassen ist das Pflegepersonal von Caritas und Diakonie zu teuer Foto: dpa

In der Regel stehen Kirchen und Gewerkschaften in unterschiedlichen Lagern. Beim Thema Pflege wollen sie künftig aber an einem Strang ziehen – durch ihr neues Bündnis für Tariftreue.

Stuttgart - Auf die Krankenkassen sind die Vertreter der kirchlichen Wohlfahrtsverbände und der Gewerkschaften in Baden-Württemberg nicht gut zu sprechen. Ihr Personal sei einfach zu teuer, bekommen Caritas und Diakonie und andere Träger, die mindestens Tariflöhne bezahlen, von den Kranken- und Pflegekassen zu hören, wenn sie mit diesen über die Kostenerstattung für die stationäre und ambulante Pflege verhandeln.

Seit 2007 deckten die Einnahmen die Ausgaben nicht mehr, sagte Urs Keller, Vorsitzender des Diakonischen Werkes in Baden, am Montag bei der Vorstellung des neuen Bündnisses zwischen den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Tarifsteigerungen für die Beschäftigten würden nicht mehr ausgeglichen. „Wer so handelt, unterstützt indirekt Lohndrückerei.“ Schon jetzt seien dadurch viele Dienste gefährdet, einige großen hätten bereits schließen müssen.

Wenn die Personalkosten von den Kassen nicht gedeckt würden, werde in der Regel Personal abgebaut und die Teilzeitquote steige, kritisierte Verdi-Landeschefin Leni Breymaier. Mittlerweile seien in der ambulanten Pflege nur noch 20 Prozent der beschäftigten Vollzeitkräfte, oft würden auch nur noch Teilzeitkräfte eingestellt. „Frauen werden wieder in die Zuverdienerrolle gedrängt, so die Verdi-Chefin. Eine Pflegehelferin mit einer 70-Prozent-Stelle verdiene gerade einmal 1440 Euro brutto monatlich. Die Haltung der Krankenkassen verschärfe auf Dauer auch den Fachkräftemangel im Pflegebereich, warnte sie. „Schlechte Bezahlung, aber auch schlechte Arbeitsbedingungen sind für potenzielle Auszubildende unattraktiv.“ Beschäftigte im Sozialwesen verdienten ohnehin weniger als Beschäftigte in der Industrie oder im Bankgewerbe. Durch höhere Beitragsbemessungsgrenzen in der Krankenversicherung könnten die Einnahmen für die Pflege erhöht werden.

Auch Rainer Brockhoff, Direktor der Caritas Rottenburg-Stuttgart, befürchtet, dass das Image der Pflegebranche weiter sinkt, wenn ein Großteil der Mitarbeiter schlecht bezahlt wird. Bei zu vielen unterbezahlten Mitarbeitern entstehe auch der Verdacht, dass die Pflegequalität nicht mehr stimme. Dann würden zusätzliche Kontrollen eingeführt, die wiederum zu höheren Kosten führten und den Lohndruck weiter erhöhten.

Um die Lohndrückerei und die Unterfinanzierung im Sozialbereich zu stoppen, haben sich die kirchlichen Wohlfahrtsverbände von Baden und Württemberg und Verdi deshalb zu einem Bündnis für Tariftreue und Tarifstandards zusammen geschlossen. Sie fordern die Politik dazu auf, alle Anbieter in Pflegeeinrichtungen und anderen sozialen Diensten dazu zu verpflichten, Flächentarife zu bezahlen. Die Einladung an andere Wohlfahrtsverbände, sich dem Bündnis anzuschließen, sei bisher „sehr verhalten“ aufgenommen worden. Derzeit werden in der Altenpflege etwa 60 Prozent der Beschäftigten nach oder über Tarif bezahlt.

Wenn die Pflege nicht aufgewertet werde, seien am Ende die Pflegebedürftigen die Leidtragenden, warnt das neue Bündnis. Heute sind im Südwesten 250 000 Personen auf Hilfe angewiesen, bis 2030 werden es voraussichtlich 350 0000 Personen, bis 2050 sogar 470 000 Personen sein. Die Zahl der Pflegekräfte müsste sich von heute mehr als 100 000 auf dann über 160 000 im Jahr 2030 und auf 230 000 im Jahr 2050 erhöhen.

Von den 2653 Pflegeeinrichtungen im Südwesten sind derzeit 45 Prozent in der Hand von Diakonie und Caritas, von den 106 105 hauptamtlich Beschäftigten in der stationären und ambulanten Betreuung sind 49 Prozent bei einem der beiden kirchlichen Träger angestellt.