US-Fahndungsfoto von Abu Bakr al-Bagdadi – niemand weiß, ob es wirklich den Terrorchef zeigt Foto: US DEPARTMENT OF STATE/dpa

Über den Anführer der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien ist wenig bekannt. Nur zwei Fotos existieren von ihm. Eines machten US-Militärs, als sie ihn festnahmen.

Über den Anführer der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien ist wenig bekannt. Nur zwei Fotos existieren von ihm. Eines machten US-Militärs, als sie ihn festnahmen.

Bagdad - Kurze schwarze Haare. Ein rundes, pausbäckiges Gesicht. Sonnengerötete Haut. So soll der neue Herrscher aussehen. Der Kalif. Der Stellvertreter, der Nachfolger. Wenn denn das Foto auch wirklich Ibrahim bin Awad bin Ibrahim al-Badri ar-Radawi al-Husseini as-Samara‘i zeigt. Sicher sind sich die Amerikaner da nicht, die das Foto gemacht haben.

Die Aufnahme, räumen sie kleinlaut ein, könnte auch einen ganz anderen Mann mit ähnlichem Namen zeigen. Damals, vor zehn Jahren, hätten die US-Militärs eben viele Männer in ihre Gefangenenlager im Irak gesteckt – auch solche, deren Namen ähnlich geklungen hätten. Vielleicht auch jenen Ibrahim aus Samaraa, den die Welt seit einem Monat unter dem Kampfnamen Abu Bakr al-Bagdadi kennt. Der kommandiert die etwa 10 000 meist vermummten Kämpfer, die zwischen Mittelmeer und Bagdad hinter der Fahne des Islamischen Staates im Irak und in Syrien (Isis) marschieren und eine blutige Spur durch das Zweistromland ziehen.

Von ihrem Befehlshaber ist wenig bekannt. Sicher ist, dass er 1971 in der irakischen Stadt Samarra geboren wurde. Die US-Bundespolizei FBI führt auf ihrem Fahndungsplakat eine Vielzahl von Namen auf, die sich der 43-Jährige gegeben hat: Abu Bakr al-Husayni al-Bagdadi, Abu Bakr al-Bagdadi al-Husayni al Quraishi, Dr. Ibrahim Awwad Ibrahim al-Samarrai, Abu Dua. Zehn Millionen US-Dollar (7,3 Millionen Euro) haben die Ministerialen auf seinen Kopf ausgesetzt – tot oder lebendig. Nur El-Kaida-Chef Ayman Mohammed al-Zawahiri ist den US-Fahndern mit 18,3 Millionen Euro mehr wert.

Islamische Poesie und Theologie hat Abu Bakr an der islamischen Universität in Bagdad studiert. Sehr wahrscheinlich hat er einen Doktor der Religionswissenschaften erworben. In sunnitischen Moscheen im Nordirak hat er gepredigt. Bis ihn die US-Truppen im Irak festnahmen, weil er in der Stadt Qaim Menschen entführt, gefoltert und ermordet haben soll. Ob das 2004 oder 2005 war, das weiß das Pentagon nicht mehr genau. Auch nicht, wann die Militärs ihn wieder aus dem Gefangenenlager Camp Bucca im Süden des Irak entließen. Im Dezember 2004 heißt es. Aber auch, er sei 2009 an irakische Sicherheitskräfte übergeben worden.

Es sind nicht die einzigen Widersprüche: Abu Bakr sei während der Haft radikalisiert worden, sagen seine Anhänger. Andere seiner Unterstützer wollen wissen, bereits während seines Arrestes habe sich der Theologe der Terrorgruppe El Kaida angeschlossen. „Mit hoher Wahrscheinlich gründete er nach seiner Entlassung die islamistische Rebellengruppe Jaysh Ahli Sunna, die für zahlreiche Anschläge auf US-Soldaten, Schiiten und liberale Sunniten im Irak verantwortlich ist“, sagt Aaron Zelin vom renommierten Washington-Institut für Nahost-Politik. Der Theologe wird zu einem der wichtigsten Köpfe der El Kaida in der Provinz Diyala und in den Regionen um seine Heimatstadt Samarra und die Hauptstadt Bagdad.

Abu Bakr träumt von einem Kalifat, einem Gottesstaat, der weit über die Grenzen des Irak hinausreicht: Syrien soll dazugehören, der Libanon, Teile der Türkei – fürs Erste. Schnell steigt er in den Reihen der Terroristen auf. Als Befehlshaber sammelt er Erfahrung und Ruhm. Seine Gotteskrieger verehren ihn – auch weil Abu Bakr Grenzen überschreitet. Er lässt Entführungsopfern und Gefangenen vor laufender Videokamera den Kopf abschneiden.

Missionen, so berichten es Anhänger im Internet, die der Prediger und seine Getreuen schon 2006 als „Isi – Islamischer Staat Irak“ ausführten. Als dann vier Jahre später der Anführer der El Kaida im Irak bei einem US-Raketenangriff getötet wurde, sichert sich Abu Bakr die Macht: Seit Mai 2010 gibt er der Terrorgruppe ein neues Gesicht. „Ohne Zweifel ist der Aufstieg des Isis zu einer transnational ausgerichteten und äußerst brutalen Terrorgruppe engstens mit dem Namen Abu Bakr verbunden“, sagt Terrorismusexperte Zelin. „Er hat sich binnen kürzester Zeit als herausragender Führer des Dschihad im 21. Jahrhundert etabliert.“

Und nebenbei El-Kaida-Chef al-Zawahiri aufs Abstellgleis geschoben. Zwar kam er im Sommer 2012 noch dessen Befehl nach, nicht irakische Kämpfer ins Nachbarland Syrien zu schicken, um dort den Aufstand gegen Staatschef Baschar al-Assad mit Dschihadisten zu unterstützen. Im April 2013 aber verkündet Abu Bakr, seine Isi vereinige sich unter seinem Kommando mit dem syrischen El-Kaida-Ableger Al Nusra zum Islamischen Staat im Irak und in Syrien (der Levante). Der Nusra-Chef interveniert, bittet al-Zawahiri, er möge Bakr in den Irak zurückbeordern. Dem entspricht al-Zawahiri und bestimmt, Abu Bakr möge sich auf den Irak, die Al-Nusra-Front auf Syrien konzentrieren. Der Vorbeter aus Samaraa ignoriert die Order. Im Dezember 2013 brechen Kämpfe zwischen den El-Kaida-Filialen in Syrien aus.

Seitdem kämpft Abu Bakr an vielen Fronten. Gerade das macht den neuen Kalifen vom Euphrat besonders für Dschihadisten aus Europa attraktiv. „Bakr entwickelt die Ideale der El Kaida weiter. Er greift die Ideen Osama bin Ladens auf, der von einer muslimischen Gemeinde unter der Führung von nur einem Anführer sprach. Und er zeigt bin Ladens Nachfolger Zawahiri auf, dass der versäumt hat, das Thema des weltumspannenden Dschihad weiterzuentwickeln“, sagt Zelin. So verwundert es nicht, dass der promovierte Theologe das Kalifat in Arabisch, auf Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch ausrief.

Und auch den Namen der Gruppe offiziell änderte. Die, ließ der neue Kalif verlautbaren, heiße nun nicht mehr Islamischer Staat im Irak und in Syrien, sondern nur noch Islamischer Staat. Den führe er an, als Staatschef und oberster Befehlshaber seiner Krieger. „Kalif“ bedeutet im Arabischen „Nachfolger“ und „Stellvertreter“. Das lässt zwei Schlüsse zu: Entweder sieht sich Abu Bakr als Nachfolger des Propheten Mohammed. Oder aber er ist der „Stellvertreter Allahs“, der Stellvertreter Gottes auf Erden.