Suzu Hirose als Suzu in einer Szene von „Unsere kleine Schwester“ Foto: Pandora

In ästhetischer Höchstform zelebriert der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda seine Geschichte um vier elternlose Schwestern im Rhythmus von Kommen und Gehen, Werden und Vergehen.

Japan - Alles akzeptieren, alles absorbieren, alles umarmen: Das hat der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda dem Meer abgeschaut. Die Metapher lenkt das Leben seiner Protagonistinnen. Freundlich geht es zu bei den Schwestern Sachi (Haruka Ayase), Yoshino (Masami Nagasawa) und Chika (Kaho). Von der Mutter verlassen leben sie in einem traditionellen Haus in Kamakura mit Arbeit, gemeinsamen Essen, Liebeskummer, kleinen Auseinandersetzungen. Tief in den Seelen aber schürft der Schmerz immer neue Wunden.

Vor allem Sachi, die Älteste, hadert heftig mit der alkoholsüchtigen Mutter. Dann kommt Nachricht aus dem Gebirge: Der Vater ist tot. Lange haben sie ihn nicht gesehen. Er verließ die Familie für eine andere, zog kurz darauf zu wieder einer weiteren. „Scheiß Vater“, machen sich die jungen Frauen Luft. Doch sie haben ihn längst akzeptiert. Zu verzeihen gab es nichts – Japan kennt keine Schuldkultur, stattdessen wird Scham über Unerhörtes empfunden.

Sachi, Yoshino und Chika fahren mit dem Zug zur Beerdigung, lernen ihre 15-jährige Halbschwester Suzu (Suzu Hirose) kennen und bieten ihr spontan an, das Bergdorf zu verlassen und bei ihnen in Kamakura am Meer zu leben. Die schüchterne Suzu, wunderhübsch mit Pagenkopf und in Schuluniform, nimmt an – und fühlt sich dort, im Haus der „Stiefmutter“, furchtbar allein.

Koreeda hinterfragt Lebensentwürfe, Haltungen, Interpretationen

Koreeda, der schon in „Like Father, Like Son“ Familienstrukturen sehr subtil inszenierte, nutzt die Figur der jüngsten Schwester, um Lebensentwürfe, Haltungen, Interpretationen zu hinterfragen. „Ist es nicht ein Glück, dass dein Vater und deine Mutter so einen Schatz hinterlassen haben?“, stellt die Besitzerin eines kleinen Imbiss lakonisch fest. Sie wird bald sterben und sieht das Leben aus dieser Perspektive. Die Waise Suzu aber empfindet sich überhaupt nicht als Schatz. „Immer wird jemand verletzt, und das nur, weil ich da bin“, sagt sie.

Koreeda zelebriert seinen Film im Rhythmus von Kommen und Gehen, Werden und Vergehen in ästhetischer Höchstform. Matt glänzen die Farben der Kimonos, die die Frauen anlegen, auch wenn sie im Alltag moderne Kleidung tragen. Zugewandt beten sie vor dem Hausaltar, und dann kommt die Kirschblüte wie ein Rausch über die Menschen und die Küstenstadt Kamakura.

Vorlage für das Drehbuch ist die vielfach ausgezeichnete Graphic Novel „Umimachi Diary“ von Akimi Yoshida. Aus shintoistischer Sicht ist alles beseelt: Menschen, Tiere, Steine, Elemente. Mit dieser rituellen Ausstattung hat Koreeda sein Werk geschaffen. Nichts bleibt. Alles bleibt. In diesem Grundvertrauen liegt der Stoff für Heilung.