Fußball steht in diesen Tagen im Mittelpunkt: Manuel Marques (li.) und Manuel Gomes im portugiesischen Zentrum in der Hauptstätter Straße. Foto: Peter-Michael Petsch

Portugiesen aus Stuttgart sind optimistisch - Vorbild: Sieg der Seleccao im Jahr 1985.

Stuttgart - Die Seleccao ist noch nie Europa- oder Weltmeister geworden. Umso größer sind die Erwartungen vor dieser EM. „Diesmal könnte es klappen“, sagt der Stuttgarter Portugiese Manuel Marques.

Wer die Hauptstätter Straße als Hauptschlagader der Stadt bezeichnet, liegt nicht falsch. Es dröhnt, es lärmt, es strömt. Der Verkehr und das Leben an den Rändern der Stadtautobahn. Auch wenn die Sache vielen stinkt, hier wird Energie spürbar. Und ganz unbemerkt von diesem Pulsieren laufen hier auch die Bahnen der Stuttgarter Portugiesen in ein Zentrum. „Hier schlägt in Stuttgart das Herz Portugals“, sagt Manuel Gomes (65), Präsident des Associoacao Recreativa Velhas Glorias Portugueses. Kurz ARVG.

Gomes ist nicht nur der Chef des Vereins. Er ist so etwas wie der Übervater der portugiesischen Gemeinde in Stuttgart. „Zu ihm kommen alle, wenn sie Hilfe brauchen“, sagt Manuel Marques (48), der mit Gomes an einem dieser schlichten Tische im portugiesischen Zentrum in der Hauptstätter Straße 122 sitzt und in diesen Tagen vor dem Start der EM nicht über Gott und die Welt spricht, sondern über Fußball. Und damit über ständig unerfüllte Erwartungen.

Es sind suchende Blicke voller Saudade

Beide kennen sich ewig. Und beide haben dieselben Wurzeln. Städtchen mit Namen Marco und Viseu. Städte, die beide im Dunstkreis der Hauptstadt liegen. Porto. Dort, wo der Douro in den Atlantik mündet. Dort, wo sie diesen unverwechselbaren Blick haben, den scheinbar alle Portugiesen haben. Es sind suchende Blicke voller Saudade. Voller Sehnsucht. Auch Marques schaut manchmal so gedankenverloren. Ins Leere, ins Weite. In seinen Augen ist das zu lesen, was ihr Landsmann Fernando Pessoa in seiner weltberühmten „Meeres Ode“ beschrieben hat: Die Schau ins Grenzenlose.

Diese Haltung prägen Gomes und Marques auch heute vor dem Spiel gegen Deutschland. Ihre Erwartungen sind wieder mal grenzenlos. Selbst wenn der Gegner übermächtig scheint. „Ja, Deutschland“, sagt Marques und holt tief Luft, „die haben einen Torwart und einen Mittelstürmer.“ Beides habe das portugiesische Team nur auf dem Papier. Ex-Werder-Profi Almeida? Nein danke. Und Eduardo? Kein Vergleich zu Bayern-Keeper Manuel Neuer. Marques meint es nicht böse. Auch das würde nicht zu einer portugiesischen Seele passen. Menschen dieses Schlags sind in ihren Gefühlen nur selten eindeutig. Es ist immer ein Mix aus Wehmut, Freude und Stolz. So wundert es nicht, dass auf die Kritik an den Nationalspielern überschäumendes Lob folgt: „Wir haben die wertvollste Mannschaft auf der Welt, technisch sind wir das beste Team.“ Die Namen Ronaldo und Nani lösen bei den Portugiesen Herzrasen aus. „Wir können Europameister werden“, sagen die Manuels.

Die Zuversicht kann deutsche Fans nachdenklich machen

Aber das dachten sie schon einmal. 2004 bei der EM im eigenen Land. Die „Goldene Generation“ um Luis Figo verzauberte alle mit magischem Fußball. Doch am Ende triumphierten die biederen Handwerker aus Griechenland anstatt Portugals Künstler. „Die Enttäuschung sitzt bis heute sehr tief“, sagt Marques und sucht den Blick seines Freundes. Doch der schweigt das Thema tot und spricht viel lieber von 1985. Einem besonderen Tag für die portugiesische Community in Stuttgart, die am kommenden Samstag ihr 40-Jahr-Jubiläum feiert.

Damals waren beide zusammen im Neckarstadion. Gomes, der vor 40 Jahren nach Stuttgart kam und sich durch seine Arbeit im Postamt 9 im Hauptbahnhof eine neue Existenz aufbaute. Und Marques, der Elektroinstallateur, der 1972 hier strandete. Den 16. Oktober 1985 werden sie nie vergessen. „Carlos Manuel hat dem Schumacher aus 35 Metern eine reingehauen“, schwärmt Marques. Die Seleccao gewann 1:0 gegen Deutschland. Für Marques und Gomes war es ein „historischer“ Sieg, der ihnen auch vor der Partie an diesem Samstagabend Mut macht. „Ich habe ein sehr gutes Gefühl“, sagt Marques.

Die Zuversicht kann deutsche Fans nachdenklich machen. Auch wenn Portugal im Fußball noch nie die Krone des Welt- oder europäischen Fußballs trug, in Gefühlssachen sind die Portugiesen Weltmeister. Und wer weiß, vielleicht wird diese ewige Sehnsucht nach dem Unerreichbaren jetzt erfüllt.