Frank Schiele ist das lebende Technik-Archiv der Innenstadtkinos. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In unserem Stuttgart-Adventskalender öffnen wir jeden Tag ein spannendes Türchen in Stuttgart für Sie. Am 10. Dezember nimmt uns Frank Schiele mit in die Vorführräume der Innenstadtkinos – und auf eine bezaubernde Zeitreise durch die Jahrzehnte der Kinotechnik.

Stuttgart - Der Stand der Technik besteht aus grauen und schwarzen Kästen. Im Vorführraum des Gloria 2, einer der vielen Säle der Stuttgarter Innenstadtkinos, herrscht die nüchterne Atmosphäre eines Serverraums eines kleinen mittelständischen Unternehmens. Laut surrende Lüfter kühlen die großen grauen 3D-Dualprojektoren mit der neuesten 4K-Auflösung, die warme Luft wird durch voluminöse, silbern glänzende Rohre abgesaugt.

Durch die Projektoren laufen schon lange keine Filmstreifen mehr, heute stecken in Kästen mit digitalen Schlüsseln aufwendig geschützte Festplatten. Rumpelt im Kinosaal die Action durch die Lautsprecher, flackern an den Soundtürmen neben den Projektoren für Bruchteile von Sekunden blaue Dioden auf.

Liebevolle Kino-Zeitreise

Von der Romantik alter Kinotechnik, ratternden Projektoren und Filmrollen, wie zum Beispiel in dem Liebes- und Kindheitsdrama „Cinema Paradiso“, einer Hommage ans alte Kino Italiens, ist in modernen Kinosälen kaum noch etwas übrig. Frank Schiele, seit fast 20 Jahren ehrenamtlicher Technikberater der Innenstadtkinos, sieht das mit gemischten Gefühlen. Einerseits hat die moderne Technik mit ihren Festplatten und Flachbildschirmen kaum Charme, sagt er. Andererseits war das Filmerlebnis noch nie so klar und rein in Bild und Ton wie heute.

Frank Schiele ist Diplominformatiker und arbeitet im öffentlichen Dienst. Sein zweites Leben widmet er der Kinotechnik. Mehrmals im Jahr bietet er Führungen durch die Technikräume der Innenstadtkinos an.

Dann nimmt er einen kleinen Werkzeugkoffer, der vollgestopft ist mit Infotafeln in Klarsichtfolien, einem Stück Kinoleinwand, Filmstreifen und anderen Stücken aus den vergangenen Jahrzehnten der Kinotechnik, und seine Besucher an die Hand mit auf eine Zeitreise. Denn auch wenn die Innenstadtkinos in die Um- und Aufrüstung ihrer Technik viel Geld investieren, ist nicht zu übersehen, dass in den Vorführräumen seit Jahrzehnten die Träume aus Hollywood und dem Rest der Welt auf die Leinwand gezaubert werden.

1,5 Terabyte Daten für einen Film

Zum Beispiel im Gloria 1: Vorbei an alten Aufklebern, die für die Disney-Zeichentrickfilme Aristocats und Robin Hood sowie den zweiten Teil des 80er-Jahre-Kultfilms La Boum werben, geht es ein paar Stufen hoch und der Besucher steht vor zwei Projektoren aus zwei verschiedenen Epochen: links ein digitaler Beamer mit Flachbildschirm, rechts ein alter analoger Projektor; direkt daneben mehrere übereinander gestapelte Teller, auf denen ein aus mehreren Rollen zusammengeklebter Film abgespult und durch den Projektor geleitet wird.

„Ein Zwei-Stunden-Film hat ungefähr drei Kilometer Länge“, erklärt Frank Schiele, und betont, dass diese Riesenscheiben bereits ein Fortschritt waren. Früher habe der Vorführer die auf mehrere Spulen von jeweils 15 Minuten Länge verteilten Filme wechselweise in zwei nebeneinander stehende Projektoren eingespannt und zwischen den Geräten hin- und hergeschaltet. Gerissene Filme mussten vom Filmvorführer per Hand aufwendig geklebt werden, was sehr genaues Arbeiten erforderte, weil sich sonst bei der Projektion das Bild verschob. Und wie sauber ein Kino arbeitete und seine Projektoren pflegte, war daran erkennbar, wie viele Kratzer und Streifen auf einem Film zu finden waren. Die entstanden nämlich beim Durchlauf durch den Projektor. Mehr Staub gleich mehr Kratzer, lautete die simple Gleichung.

Ein Labyrinth aus Fluren, Gängen, Treppen und Türen

Doch das ist Technik von gestern. Heute sind alle Säle per Glasfaserkabel miteinander verbunden. Filme können so einfach übertragen werden – für einen normal langen Streifen bedeutet das ein Datenvolumen von etwa 1,5 Terabyte, die bei jeder Vorstellung vom Kinoserver zum Projektor übertragen werden. Komprimiert sind die Filme zur Anlieferung in die Kinos bis zu 500 Gigabyte groß. Die Innenstadtkinos haben dafür eine starke Internetanbindung und eine Satellitenverbindung ins Internet, mit der Liveübertragungen aus der Metropolitan Opera in New York möglich sind. Bisweilen kommen Filme aber auch auf transportablen Festplatten fast so wie die klassische Filmkopie damals im Karton über die Filmspeditionen oder schlicht per Post.

Wer mit Frank Schiele in den Kinos unterwegs ist, lernt den Marquardtbau, in dem bis 1938 das gleichnamige Hotel untergebracht war, ganz neu kennen. Das Gloria, das EM und das Cinema, allesamt Säle der Innenstadtkinos, sind nämlich über ein kleines Labyrinth aus Fluren, Gängen, Treppen und Türen miteinander vorbunden. Es geht am portugiesischen Generalkonsulat und bei Bedarf auch mal über einen kleinen Dachgarten an der Garderobe der Komödie im Marquardt vorbei. Am Ende einer solchen Kaskade ist der Besucher dann völlig überrascht, wieder auf der Bolzstraße zu stehen – und auch ein bisschen traurig, dass die Reise durch die Geschichte der Stuttgarter Kinos wieder vorbei ist.

Wer an einer Führung durch die Innenstadtkinos interessiert ist, schreibt am besten eine E-Mail an info@innenstadt-kinos.de.

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