Andrea Nahles wird wohl schneller Nachfolgerin von Martin Schulz als gedacht. Foto: dpa

Andrea Nahles soll offenbar so bald wie möglich als kommissarische SPD-Bundesvorsitzende Martin Schulz ablösen. Auf einer Sitzung des SPD-Präsidiums am Dienstag könnte darüber entschieden werden.

Berlin - Auch nach dem Verzicht von Martin Schulzauf den Parteivorsitz und ein Ministeramt kommt die SPD nicht zur Ruhe. Inzwischen ist ein Streit über die Frage entbrannt, ob die Mitglieder in einer Urwahl über den künftigen Vorsitz abstimmen sollen. An diesem Dienstag will das Präsidium über das weitere Vorgehen beraten. Es gilt als wahrscheinlich, dass Fraktionschefin Andrea Nahles dann zur kommissarischen Parteichefin ernannt wird.

Keiner hört auf Sören Bartol. „Leute!“, twitterte der Bundestagsabgeordnete am 9. Februar, „jetzt mal Schluss mit der Selbstzerfleischung.“ Genau die ging am Wochenende aber kräftig weiter. Während die gesamte Führung inzwischen fast flehentlich den Appell wiederholt, dass man doch bitte über die wunderbaren Ergebnisse des schwarz-roten Koalitionsvertrags sprechen und die Mitglieder von einer Jastimme beim Votum über den Vertrag überzeugen möge, verlangt die Parteilinke Hilde Mattheis eine weitere Mitgliederbefragung, und zwar darüber, wer Martin Schulz als SPD-Chef nachfolgt.

Zwar hat Mattheis nicht allzu viel Rückhalt in der Partei aber auch Katarina Barley meint, dass sie der Urwahl-Idee „grundsätzlich etwas abgewinnen“ könne. Und Barley ist immerhin die amtierende Familienministerin und wird sogar als künftige Außenministerin in einem schwarz-roten Kabinett unter Kanzlerin Merkel gehandelt.

Über die neue Regierung sollen 460 000 Sozialdemokraten entscheiden

Der Vorschlag, über Schulz‘ Nachfolge die Basis abstimmen zu lassen, ist insofern eigenartig, als das Organisationsstatut der Partei dieses Verfahren gar nicht vorsieht. Kurios, aber wahr: Die gut 460 000 Genossen entscheiden, ob die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt mit ihren 82 Millionen Einwohnern demnächst eine Regierung bekommt oder ob es auf Neuwahlen hinausläuft – bei einer parteiinternen Angelegenheit wie dem Vorsitz bleiben sie aber außen vor.

Natürlich könnte ein Parteitag das Statut ändern. Nur wären die Sozialdemokraten, die ohnehin mit sich und ihren Personalangelegenheiten beschäftigt sind, dann an einer weiteren Stelle wieder nur mit sich beschäftigt. Und was eine Urwahl nützen soll, wenn – jedenfalls Stand heute – mit Andrea Nahles nur eine Person nach dem Vorsitz greift, ist auch nicht ersichtlich.

Die Genossen machen also, was sie seit Langem ganz gut können – sich selbst das Leben schwer. Der Abgeordnete Swen Schulz hatte sich deshalb schon darauf eingestellt, dass die Bürger seines Wahlkreises Berlin-Spandau ihm ein Scherbengericht bereiten würden. Am Wochenende machte er aber eine ganz andere Erfahrung. Auf einem Infostand schlug ihm Mitleid entgegen: „Kritisiert werden ist ja okay. Das sind wir gewöhnt. Aber Mitleid ist echt bitter.“

Die Schwester von Martin Schulz bezeichnet die SPD als „Schlangengrube“

Keine Spur von Mitleid hat hingegen Doris Harst, die Schwester von Martin Schulz. Die SPD habe sich als eine echte Schlangengrube erwiesen, sagte sie der „Welt am Sonntag“. Nahles und der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz machten ihren Bruder zum Sündenbock. Dabei könne die Führung Martin Schulz dankbar sein, „nicht nur weil er in ihrem Sinne Sigmar Gabriel abserviert hat.“

Offiziell abserviert ist Gabriel allerdings (noch) nicht. Der Wortführer des rechten Parteiflügels, Johannes Kahrs, twittert, dass Gabriel Außenminister bleiben solle. Alles andere würde er, Kahrs, nicht mehr verstehen. Weil Kahrs intern jedoch durchaus ruppig aufzutreten pflegt, interessieren sich viele SPD-Leute herzlich wenig dafür, was Kahrs versteht oder was ihm nicht einleuchten mag. Auch scheint der Frontmann des Seeheimer Kreises zu übersehen, wie entsetzt viele Bürger und Genossen über Gabriels Angriff auf Schulz sind. Gabriel hatte seine kleine Tochter für den Kampf um das Auswärtige Amt eingespannt und sie mit den Worten zitiert: „Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“

Die SPD ist an einem Tiefpunkt angelangt, und zwar nicht nur in den Umfragen, in denen sie auf 17 Prozent gefallen ist. Der Führung bleibt nur, Nahles rasch als Vorsitzende zu berufen (innerhalb von drei Monaten muss sie sich dann dem Votum eines Parteitags stellen) und auf Regionalkonferenzen für den Koalitionsvertrag zu werben. Die erste dieser internen Versammlungen findet am 17. Februar in Hamburg statt.