In Deutschland wird längst zum Rückzug vom umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat geblasen. Ein Gerichtsurteil aus den USA stärkt die Kritiker. Vom Bund bis zu den Städten gerät das Mittel unter Druck.
Stuttgart - Seit Jahren tobt um das 1974 erfundene Pflanzengift Glyphosat ein Glaubenskrieg. Bauernverbände und Landwirtschaftsminister hielten es lange für unverzichtbar. Ein Urteil aus den USA, wonach der im Unkrautvernichter Round-Up der Bayer-Tochter Monsanto enthaltene Wirkstoff ein „erheblicher Faktor“ bei der Krebserkrankung eines Mannes gewesen sei, hat den Kritikern von Glyphosat nun Auftrieb gegeben. Eine Jury des Bundesbezirksgerichts in San Francisco befand am Dienstag (Ortszeit) einstimmig, dass Glyphosat mit schuld an der Lymphdrüsenkrebserkrankung des 70-jährigen Klägers Edwin Hardeman gewesen sei.
An der Börse löste die Nachricht am Mittwoch ein Beben aus: Der Kurs der im Dax notierten Bayer-Aktie brach am Mittwoch ein. Am Markt flammte mit der erneuten Niederlage die Sorge vor Milliardenlasten auf, denn in den USA sind gegen Monsanto noch 11 200 glyphosatbezogene Klagen zu erwarten. Erst im vergangenen August hatte ein US-Gericht dem Krebspatienten Dewayne Johnson in einem anderen Verfahren wegen Glyphosat 78 Millionen Dollar (69 Millionen Euro) Schmerzensgeld und Entschädigung zugesprochen. Die jüngste Entscheidung der Jury im Fall Hardemann aber ist von hoher Bedeutung, da es sich um einen sogenannten Bellwether-Prozess handelt: Sein Ausgang gibt anderen Klägern Hinweise über die Erfolgsaussichten.
Der Pharmakonzern Bayer äußerte sich enttäuscht über das Urteil des kalifornischen Gerichts. Man sei „weiterhin fest davon überzeugt, dass die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse bestätigen, dass glyphosatbasierte Herbizide keinen Krebs verursachen“, hieß es in einer Mitteilung. Der Konzern sei zuversichtlich, „dass die Beweise in der zweiten Phase des Prozesses zeigen werden, dass Monsantos Verhalten angemessen war und das Unternehmen nicht für die Krebserkrankung von Herrn Hardeman haftbar gemacht werden sollte“.
In der zweiten Prozessphase – mit derselben Jury – geht es darum, ob Monsanto über Risiken hinwegtäuschte und wie hoch ein Schadenersatz sein könnte. Sollte Monsanto für haftbar befunden werden, könnte dies den Mutterkonzern viel Geld kosten. Für die Leverkusener dürfte es nun eigentlich nur noch darum gehen, den Schaden zu begrenzen, sagte Analyst Gunther Zechmann vom US-Analysehaus Bernstein Research. Bislang sah das Unternehmen keinen Grund, für Schadenersatzzahlungen hohe Vorsorge zu leisten. Immerhin stiegen die Rückstellungen für Prozesse 2018 bei Bayer um 660 Millionen Euro. Bayer-Chef Werner Baumann wird sich auf der Hauptversammlung am 26. April auf Aktionärskritik einstellen müssen. So bezeichnete der Wirtschaftswissenschaftler Christian Strenger den Kauf von Monsanto durch Bayer im Juni 2018 in einem dem „Manager-Magazin“ vorliegenden Brief als „größten und schnellsten Wertvernichter der Dax-Geschichte“. Strenger fordert demnach, Baumann und den anderen Vorstandsmitgliedern die Entlastung zu verweigern.
EU – die Wiederzulassung war heftig umstritten
In der EU war um die Wiederzulassung von Glyphosat heftig gerungen worden. Im November 2017 folgten die EU-Minister einem Vorschlag der Kommission und verlängerten die Zulassung des Herbizids um weitere fünf Jahre. 18 Staaten, darunter auch Deutschland, waren dafür, neun dagegen, einer enthielt sich. Die Kritiker zitierten eine Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation von 2015, wonach das Pestizid „wahrscheinlich krebserregend“ sei. Befürworter sagen, dass diese Beurteilung auch für Wurst und Alkohol gelte und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und das Bundesinstitut für Risikobewertung keine Gefahr festgestellt haben.
Deutschland – geplant ist ein Aus für das Gift
In Deutschland hatten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den Einsatz von Glyphosat in einer mit dem EU-Recht konformen Weise „deutlich einzuschränken“. Glyphosat soll auch mit Schuld am Artensterben haben, da es Wildkräuter vernichtet und Insekten die Nahrungsbasis entzieht. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat bereits vor einem Jahr Eckpunkte für den Rückzug angekündigt: In Privatgärten soll das Herbizid verboten werden, nur noch „Profis“ wie Berufsgärtner sollen es einsetzen dürfen, „wenn es keine Alternativen gibt“. In Parks und Sportanlagen soll Glyphosat tabu sein, in der Nähe von Gewässern ebenfalls. Auch in der Landwirtschaft soll Glyphosat „massiv eingeschränkt“ werden, und es soll wenige Ausnahmen geben: etwa bei Erosionsgefahr bei Böden, die eine mechanische Unkrautvernichtung schwierig macht, oder bei der Gefährdung einer kompletten Ernte. Dem Anti-Gift-Kurs entgegen steht, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vor Kurzem 18 Pflanzenschutzmittel mit Glyphosat – größtenteils Neuzulassungen – befristet bis 31. Dezember zugelassen hat.
Der grüne Bundestagsabgeordnete und Agraringenieur Harald Ebner forderte die Bundesregierung auf, „endlich ernst zu machen mit dem Glyphosat-Ausstieg, statt sogar noch neue Glyphosat-Produkte ohne Auflagen zuzulassen“. An den Bayer-Konzern appellierte Ebner: Bayer solle zur Aufklärung der wahren Risiken von Glyphosat und „des Monsanto-Gemauschels bei Studien“ beitragen, statt „stur die Unbedenklichkeit von Glyphosat zu propagieren“.