Mit dem E-Genius der Vaihinger Luft- und Raumfahrttechniker flogen ein Doktorand und ein Pilot über die Alpen bis nach Italien. Foto: Universität Stuttgart

Fünf Weltrekorde hat das Elektroflugzeug E-Genius der Uni Stuttgart aufgestellt. Im Sommer überflog es als erster batteriebetriebener Flieger die Alpen. In der Werkhalle des Instituts für Flugzeugbau wird es jetzt zum Hybrid umgerüstet. Ein Besuch vor Ort.

Vaihingen - Bereits der Gang verrät, was sich in der Werkhalle des Instituts für Flugzeugbau auf dem Campus Vaihingen verbirgt. Vor der Werkstatt machen zwei große weiße Flügel Irrtümer fast unmöglich. Es ist ein Vormittag im Dezember; in der Werkhalle am Pfaffenwaldring 32 ist es noch ruhig. Die meisten Studenten sitzen in der Vorlesung, und so gehört die erste Etage ganz alleine ihm: dem E-Genius, dem Elektroflieger des Luft- und Raumfahrttechnikstudiengangs, dem Vorzeigekind der Universität Stuttgart.

Verlassen liegt er da, der Rumpf offen, Werkzeuge und Einzelteile sind verstreut. Winterwartung nennen die Ingenieure den Vorgang. Was aussieht wie eine Operation am offenen Herzen einer Maschine, könnte man in einem Tag wieder zusammensetzen und fliegen lassen. Könnte – denn auf das Elektroflugzeug wartet die nächste Herausforderung. Deshalb wird es umgebaut. Bis Weihnachten soll es fertig sein.

Der E-Genius als Forschungsanreiz

Fünf Weltrekorde und als erstes batteriebetriebenes Flugzeug über die Alpen: der E-Genius hat in den vier Jahren seiner Existenz erreicht, wovon manche Flugpioniere ihr Leben lang träumen. Und die Erfolgsgeschichte des Elektrofliegers könnte weitergehen. Verantwortlich dafür ist das Team um Professor Andreas Strohmayer vom Institut für Flugzeugbau. Seit September ist Strohmayer der Nachfolger von Professor Rudolf Nitschmann. Er war der Gründervater des Projekts um E-Genius.

Strohmayer kommt eigentlich aus der Industrie. Der E-Genius war für ihn Anreiz, in die Forschung zu wechseln. „Es ist eine tolle Motivation, die Zukunft vordenken zu dürfen“, sagt Strohmayer. Dem Professor stehen die drei Doktoranden Len Schumann, Ingmar Geiß und Jonas Lay als Team zur Seite. Gemeinsam bilden sie die Task Force des Elektroflugzeugs E-Genius. Aber ohne Studenten geht es nicht. Mehr als 100 Studierende – schätzt Schumann – haben schon an dem E-Genius geplant, konstruiert und gewerkelt.

In zwei Stunden von Stuttgart nach Italien

600 Flüge hat der E-Genius mittlerweile auf dem Buckel. Der bislang spektakulärste von ihnen war im Juli, denn da flog der kleine Zweisitzer innerhalb von zwei Stunden von Stuttgart über die Alpen bis nach Norditalien. Ein Novum. Noch nie zuvor hatte ein batteriebetriebenes Flugzeug die Alpen überquert. Die Herausforderung war der steile Alpenanstieg. Der E-Genius musste Gipfel in mehr als 3000 Meter Höhe überfliegen. „Es gibt Gebiete in den Alpen, die sind unlandbar. Da darf nichts passieren“, sagt Schumann. Deshalb holte das Team einen erfahrenen Piloten mit ins Cockpit, der sich mit Flügen über die Alpen auskennt.

Neben dem Piloten saß Ingmar Geiß. „Es war toll. Und ich hatte Respekt, mit unserem Prototypen zu fliegen“, erzählt der Doktorand von der Alpenüberquerung. Nach der Landung im italienischen Ort Calcinate del Pesce musste der E-Genius seine Batterien für den Rückflug aufladen. Fünf Stunden Aufenthalt, dann ging es zurück nach Stuttgart. Die Zeit reichte gerade für einen Restaurantbesuch.

Mit der Alpenüberquerung wollten die Stuttgarter Forscher beweisen, wie effizient und günstig Elektroflugzeuge sein können. Lediglich 21 Euro Energiekosten fielen für den Hin- und Rückflug an. „Batterieflugzeuge können mehr als sich die Leute träumen lassen“, sagt Professor Strohmayer.

Fünf Weltrekorde

Für Laien scheint es tatsächlich unglaublich, ein Flugzeug von Grund auf zu kreieren, zusammenzuschrauben und damit zu fliegen. Strohmayer und sein Team sehen es pragmatisch. Der E-Genius ist in der Theorie bis ins kleinste Detail durchdacht; er durchläuft vor jedem Flug auch praktische Tests.

Die höchste Geschwindigkeit, die über eine 100 Kilometer lange Strecke erreicht wurde, lag bei 178,1 Kilometer pro Stunde; die maximal erreichte Flughöhe lag bei 6376 Meter; die weiteste zurückgelegte Strecke war 502,7 Kilometer lang. Der E-Genius stellt unter den Elektroflugzeugen Rekorde auf. Erst in der vergangenen Woche bestätigte die Internationale Aeronautische Vereinigung (FAI) fünf Weltrekorde. Bisher – geben die Wissenschaftler zu bedenken. Denn die Forschung schläft nicht. „Wir wollten ein alltagstaugliches Elektroflugzeug bauen und damit Elektromobilität beweisen“, sagt Geiß. In kleinem Rahmen der Industrie zeigen, was man im Großen schaffen könnte, so nennt es Strohmayer. Der E-Genius ist schon jetzt ein bisschen Geschichte.

Umbau zum hybriden Flugzeug

Aber das batteriebetriebene Flugzeug reicht den Wissenschaftlern nicht. Was machen wir jetzt?, fragte sich das Team. Mit den Batterien als Antrieb waren ihnen technische Grenzen gesetzt: Auf 400 Kilometer brachte es die eingesetzte Batterie aus dem Jahr 2010, dann musste sie aufgeladen werden. „Eine heutige Batterie bringt es auf 450 Kilometer“, sagt Geiß. Die geringe Steigerung bot keine Perspektive für die Flugpioniere.

„Elektromobilität ist ein Teil der Zukunft, aber die Möglichkeiten sind begrenzt. Noch ist nicht absehbar, wann es zu einem Technologiesprung kommt“, sagt Strohmayer. Er will zeigen, welche Elemente die Luftfahrt in Zukunft bräuchte. Die Reichweite des E-Genius war ein Problem. „Also haben wir einen Akkupack rausgenommen und wandeln den E-Genius in ein hybrides Flugzeug um“, sagt Stohmayer. In Zukunft sollen dem Flugzeug nicht nur Akkus als Stromquelle dienen, sondern auch ein Verbrennungsmotor, der flüssigen Kraftstoff braucht. Er erhöht die Reichweite des Flugzeugs. Gemeinsam versorgen Verbrennungsmotor und Akkus den Elektromotor mit Strom – und der Propeller des E-Genius dreht sich wieder. „Wir verheiraten ein tolles Flugzeug mit einer großen Reichweite“, sagt Schumann.

Vor Weihnachten soll der Umbau beendet sein, die Arbeiten laufen auf Hochtouren. Noch müssen die Benzinleitung und die Elektrokabel verlegt werden. Dann können die Forscher den Verbrennungsmotor an den Flieger schrauben und das Flugzeug zusammensetzen. Es ist ein ehrgeiziges Ziel, aber die Wissenschaftler treibt die Passion. Fast alle fliegen, nur Jonas Lay ist die Ausnahme. „Ich bin Ingenieur“, sagt der Doktorand, während er am neuen Motor schraubt. „Fliegen ist ein sehr zeitintensives Hobby“, sagt Andreas Strohmayer. Früher sei er gerne selbst geflogen. Inzwischen sitze er aber lieber neben dem Piloten im Cockpit. Das Mitfliegen werde er sich niemals nehmen lassen.

Läuft alles nach Plan, dreht der E-Genius ab Februar wieder seine Runden. „Luftfahrt ist ein Virus“, sagt Professor Strohmayer. „Und alle, die an unserem Projekt mitarbeiten, sind infiziert.“