Offen? Von wegen. Foto: /Michael Werner

Auf dem Campus der Uni Hohenheim scheint in diesen Tagen das Leben coronabedingt beinahe still zu stehen. Ein Rundgang zum Sound von Prog-Rock und Laubbläsern.

Stuttgart - Das Türschild lügt. „Open“ behauptet in weißer Schrift auf ampelgrünem Grund das Türschild am Plastikklo vor den Hörsälen der Nutztierwissenschaften und der Tropischen Agrarwissenschaften. Aber das Häuschen an der Garbenstraße ist mitnichten geöffnet, sondern mit einem Schloss verrammelt.

An den Eingängen dauerhaft anwesender Gebäude auf dem Campus der Universität Hohenheim überzeugen hingegen hingeklebte Zettel mit Klarheit: „Gebäude für die Öffentlichkeit gesperrt“ steht da oder „Das Institut ist geschlossen!“ Weil coronabedingt die Präsenz an den Universitäten untersagt wurde, ruhen in der Mensa die Stühle auf dem Tisch. Aus einem weit geöffneten Fenster des Hohenheimer Schlosses dringt derweil das ausgiebige Gitarrensolo eines Prog-Rock-Songs in den spätsommerlichen November-Nachmittag hinein, während Arbeiter vor dem Schloss das spärliche Geschehen jahreszeitlich korrekt und laut röhrend verorten: kein Lockdown für Laubbläser.

Ansonsten ist wenig los auf dem Campus: Vor dem Euroforum berichtet an der Heinrich-Pabst-Straße eine ältere Dame einer anderen älteren Dame beim Spazierengehen von einem gewissen Sascha: „Bis die zusammengezogen sind, hat er bei seiner Mutter gewohnt. Die hat für ihn gekocht und ihm die Wäsche gewaschen.“ Die Denkbar ist zu, der Copyshop auch, und an der Fruwirthstraße liegt braunes Laub, das noch nicht weggeblasen wurde.

Drei teuer gekleidete junge Menschen

Zurück an der Garbenstraße kann, wer möchte, ungewöhnliche Aktivität betrachten: Zwei junge Männer und eine junge Frau, alle deutlich teurer gekleidet als durchschnittliche Studierende, sprechen eben jene an, so sie ihrer habhaft werden können, und verwickeln sie in lange Gespräche. Man könnte vermuten, dass vor der geschlossenen Mensa drei Missionare versuchen, ihr Pensum zu erfüllen, was in Anbetracht der an diesem Nachmittag allenfalls äußerst spärlich in Erscheinung tretenden Studierenden mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte. Aber man läge falsch.

Während alle drei warten, erklärt die junge Frau auf Nachfrage, dass sie und ihre beiden Kollegen im Auftrag eines „Finanzberatungsunternehmens“ auf dem Campus tätig seien. Es gehe um die finanzielle Vorsorge junger Akademiker fürs Alter, das Interesse sei mäßig. Beruhigend: „Unser Ziel ist es, am Ende des Tages niemanden zu irgendwas zu zwingen.“

Chicken Wings oder Pommes

Das scheinen sich so ähnlich auch die Betreiber der Imbissbude neben dem Bezirksrathaus Plieningen gedacht zu haben. Womöglich weil die Mensa verrammelt ist, überlegen sich vor der entsprechenden Schautafel vier Studentinnen aus Indien mittels Abwägung der einschlägigen Argumente, ob sie sich für Chicken Wings, Lahmacun oder Pommes entscheiden werden. Auf der anderen Straßenseite direkt gegenüber kündet ein Schild davon, dass offenbar jemand in Zeiten wie diesen von einem dauerhaft erhöhten Bedarf an Mitnehm-Essen ausgeht: „Demnächst entsteht hier ein Imbiss!“

Ob er dem Flaschensammler Linderung verschaffen wird, der an diesem Nachmittag erfolglos die Mülleimer nahe der Bushaltestelle Garbe durchwühlt? Man zweifelt. Eine junge Frau sieht ihm im Vorbeigehen zu, dann sagt sie in ihr Handy: „Everything is closed.“

Sie betont die erste Silbe, das Alles also, so eindringlich, dass man Angst bekommen könnte.