Volker Kauder (links) ist abgewählt, sein Nachfolger Ralph Brinkhaus, begleitet von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, ist zufrieden. Foto: AFP, dpa

Der Sturz von Unionsfraktionschef Volker Kauder zielt ins Herz der Regierung. Die Abgeordneten machen ihrem Ärger über den Führungsstil von Kanzlerin Merkel Luft. Kann sie dennoch weitermachen?

Berlin - A

ngela Merkel stützt ihre Hände in die Hüften und überlegt, wie es jetzt weitergehen kann. Es ist 17.30 Uhr, und das Erdbeben, das die Fraktion der Bundeskanzlerin erfasst hat, ist noch nicht einmal eine Stunde alt. Merkel steht hinter dem Fraktionssaal mit ihren engsten Beratern zusammen. Mit Regierungssprecher Steffen Seibert und ihrer Medienberaterin Eva Christiansen diskutiert sie, was sie gleich dazu sagen soll, dass mit Volker Kauder einer ihrer engsten politischen Vertrauten aus dem Amt des Unionsfraktionsvorsitzenden gejagt worden ist – und jeder weiß, dass das auch mit ihrer Person zu tun hat.

Es wird eine dürre Stellungnahme, die nichts von der Dimension verrät, um die es hier geht. Die Kanzlerin räumt die Niederlage ein: „Da gibt es nichts zu beschönigen.“ Sie dankt Kauder „für 13 Jahre außerordentlicher Zusammenarbeit“ und berichtet, auch dessen Nachfolger Ralph Brinkhaus „gratuliert und gute Zusammenarbeit angeboten“ zu haben. Es soll nur ja nicht der Eindruck entstehen, dass Merkel aus dieser krachenden Niederlage ihres Mannes, den sie zusammen mit CSU-Chef Horst Seehofer nominiert hat, selbst persönliche Konsequenzen ziehen könnte. Verräterisch ist allein schon die Tatsache, dass viele Abgeordnete ungefragt berichten, Brinkhaus‘ Sieg richte sich nicht gegen die Regierungschefin.

Denkzettel für Maaßen

Bevor der für die Union ungewöhnliche Wahlakt über die Bühne ging, fühlten sie sich in CDU und CSU verpflichtet zu dem Hinweis, dass ihre Bundestagsfraktion durchaus Erfahrung mit einer demokratischen Kandidatenauswahl gesammelt hat. 1973 war das, als der spätere Bundespräsident Karl Carstens sich gegen ein weiteres Staatsoberhaupt in spe namens Richard von Weizsäcker und den CDU-Politiker Gerhard Schröder durchsetzte. Ziel der kleinen Geschichtsstunde war freilich, die Brisanz aus der bevorstehenden Abstimmung zu nehmen.

Dass es knapp werden würde, ahnten viele der 246 Abgeordneten, als sie den Sitzungssaal betraten. „Es rumort in der Fraktion“, sagte einer, der wie die meisten nicht genannt werden will. „Was in den vergangenen beiden Wochen im Fall Maaßen gelaufen ist“, sagte eine andere, „wird hauptsächlich dem Establishment angekreidet.“

Kauder, der den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen vertritt und seit Merkels erstem Tag als Bundeskanzlerin die größte Regierungsfraktion führt, hat im Fall des Verfassungsschutzpräsidenten keine große Rolle gespielt – die beiden Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer aber natürlich schon. Die Denkzettel-Wähler, die für den ostwestfälischen Finanzexperten Brinkhaus stimmten, dachten dabei also mit Sicherheit an die Kanzlerin im Hintergrund. Zwei Drittel für Kauder, 60 Prozent oder noch weniger? So lauteten viele Einschätzungen. „Ich tippe auf eine Überraschung“, sagte jemand aus der hessischen Landesgruppe. Dort war am Vorabend in einer Kampfabstimmung auch der Favorit gescheitert. In der Sitzung des Parlamentskreises Mittelstand direkt vor der Fraktionssitzung war das Meinungsbild pro Brinkhaus schon eindeutig. Von einem „Signal der Unabhängigkeit der Fraktion gegenüber der Regierung“ war da die Rede gewesen.

Brinkhaus trifft Nerv der Fraktion

Merkel und Seehofer, die von dem sich zusammenbrauenden Sturm offenbar nicht genug mitbekommen haben, warben leidenschaftlich für Kauder. Der Bundesinnenminister nannte ihn einen „Stabilitätsanker“, mit dem es „nie Tricksereien“ gegeben habe. Die Kanzlerin verwies auf die Erfahrung ihres engen Vertrauten, die in einer unübersichtlichen Welt von unschätzbarem Vorteil sei: „Ich wünsche mir Volker Kauder als Fraktionsvorsitzenden, damit auch ich eine stabile Grundlage für meine Arbeit habe.“ Diese Verknüpfung der Arbeit Kauders mit ihrer eigenen könnte für Merkel noch gefährlich werden.

Kauder erhielt nach seiner kurzen Bewerbungsrede viel Applaus für sein Engagement für verfolgte Christen in aller Welt. Er sagte seinen Kritikern, die die Profillosigkeit der Fraktion beklagen, dass es vor allem auf das Erreichen von Zielen ankomme. Da traf Herausforderer Brinkhaus „den Nerv der Fraktion besser“, wie der Pforzheimer Abgeordnete Gunther Krichbaum berichtete. Dieser streichelte die Seele der Abgeordneten, die es nach 13 Jahren zum Teil Leid sind, dass die Politik vorrangig im Kanzleramt gemacht wird und Kauder sie den Parlamentariern hinterher überbringt. Er selbst sah das ganz anders und nannte immer wieder Beispiele dafür, dass Merkel auch auf ihn hören musste. Geglaubt haben ihm das aber immer weniger.

Merkel soll Übergang managen

Am Ende entfielen auf Merkels Wunschkandidaten nur 112 Stimmen, Brinkhaus bekam 125. Auf die zwei Enthaltungen kam es nicht mehr an – das Erdbeben in der Unionsfraktion ist da, mit allen Konsequenzen.

Dazu gehört, dass es trotz Merkels Bemühen um Normalität und auch Brinkhaus‘ klarem Bekenntnis zur Kanzlerin jetzt kein Weiter-so geben wird. „Das ist mehr als ein Warnschuss“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Katja Leikert. Auf den Fluren kommt schnell die Debatte darüber auf, was beim CDU-Parteitag in Hamburg passieren könnte oder sollte. Geredet wird zum Beispiel bereits darüber, ob die von Merkel im Frühjahr zur Generalsekretärin gemachte Annegret Kramp-Karrenbauer nun nicht auch den Parteivorsitz übernehmen solle. Der Lörracher Innenexperte Armin Schuster erklärt: „Ich erwarte von der Kanzlerin, dass sie uns beim Parteitag sagt, wie sie den Übergang bis 2020 hin zu einem neuen Kanzlerkandidaten managen will.“