Streicheln erlaubt: die selbst gebaute Hybridrakete N2orth Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Eine studentische Gruppe der Uni Stuttgart hat ihre selbst gebaute Hybridrakete präsentiert. Sie ist schneller als der Schall, hat bis zu 1,5 Tonnen Schub und schafft in null Komma nix eine Flughöhe von mehr als 100 Kilometern – wenn alles gut geht.

Drei Jahre lang haben die 60 Studierenden der Hochschulgruppe Hybrid Engine Development, kurz HyEnd e. V., der Uni Stuttgart an ihrer Experimentalrakete getüftelt. Jetzt haben sie ihr Prachtstück der Öffentlichkeit präsentiert. In der Materialprüfungsanstalt der Uni Stuttgart enthüllte Julian Dobusch, Masterstudent der Luft- und Raumfahrttechnik und Leiter der Triebwerksentwicklung bei dem Stern-Förderprojekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, unter dem Applaus des begeisterten Publikums die schlanke Maschine. 7,80 Meter lang, 70 Kilo schwer. Doch das Ziel des Projekts muss erst noch erreicht werden: nämlich beim Start in Kiruna in Nordschweden im April 2023 den Weltrekord für studentische Experimentalraketen zu knacken. Und den hält seit 2019 ein studentisches US-Team mit einer Flughöhe von 104 Kilometern – also Weltraumlevel.

Die Finnen der Rakete sind aus Carbon, selbst gewickelt

Der mausgrauen Carbonhülle des Geschosses sieht man ihr hochtechnologisches Innen- und auch Außenleben nicht an. Alles selbst entwickelt, selbst gefertigt, gedreht, geformt – alles neben dem Studium in der Freizeit. Colin Barth, Bachelorstudent der Luft- und Raumfahrttechnik, hat sich dabei unter anderem auf die Finnen der Rakete konzentriert. Auch die seien aus Carbon, aber mit einem speziell entwickelten Schaumkern. „Wir sind sehr bedacht drauf, jedes Kilo einzusparen“, sagt Colin Barth. Allerdings dürfe die Gewichtseinsparung nicht zulasten der Stabilität gehen. Also habe er sich um einen Flatternachweis gekümmert und dafür in alte Berechnungen der Nasa reingefuchst. Punkte fürs Studium gebe es dafür zwar nicht, Spaß mache es trotzdem. Die Faszination bestehe für ihn auch darin, Berechnungen aus dem Computer und die Theorie aus dem Studium in die Realität umzusetzen und zu versuchen, technische Höchstleistung zu erreichen.

Nicht immer gelingt das auf Anhieb, wie auch Julian Dobusch bei der Einführung mittels eines Films erläuterte. Zu sehen war ein Rohrkrepierer. „Den Test mussten wir abbrechen, weil das Triebwerk eine Leckage hatte“, so Dobusch. Bei einem weiteren Triebwerkstest konnte das Auspuffmaterial der Wucht und Hitze der Verbrennung nicht standhalten und löste sich auf. „Der war einfach zu dünn“, erklärt Dobusch.

Der Fallschirm muss überschalltauglich sein

Tüfteln mussten die Raketenbauer auch beim Fallschirm. Der müsse schließlich überschalltauglich sein. Und so stellte sich erst mal die Frage nach dem Material – „und wie schneidet man es zusammen“, so Dobusch. Für den Vorschirm, aber auch für den Hauptschirm. Den meisten Platz beanspruchen allerdings der Tank mit dem flüssigen Lachgas und die Brennkammer mit dem festen Brennstoff. Auch sie müssen so konzipiert sein, dass sie dem Berstdruck standhalten. Denn das Geschoss soll 1,5 Tonnen Schub bringen – „da sind wir sehr stolz drauf“, so Dobusch. Ebenso auf die selbst entwickelten Ventile. Die Avionik, also die komplette elektronische Ausstattung samt Datenmessung, wurde an der Spitze des Flugkörpers verbaut. Aber es sei natürlich keine gelenkte Rakete, sagt Colin Barth.

Aber wie halten es Studenten, die Raketen bauen, mit dem Thema Militärnutzung? Das sei ja mit vielen Dingen so, dass man sie für unterschiedliche Dinge nutzen könne, meint der Bachelorstudent – und nennt das Küchenmesser. Jedenfalls werde das Projekt nicht von Rüstungsfirmen gesponsert. Förderer seien das DLR und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, und unterstützt werde es auch vom Institut für Raumfahrtsysteme sowie der Materialprüfungsanstalt der Uni Stuttgart.

Im April werden die Studenten zwei Raketen zum Start bringen

Klar sei aber, so Dobusch: „Eine Rakete kann nur unter Flugbedingungen getestet werden.“ Da muss dann alles passen: Triebwerk, Strukturbauteile, thermische Lasten. Im nächsten April wollen 16 Studierende aus dem HyEnd-Kernteam zum Raketenstart nach Kiruna reisen, auch Colin Barth. Im Gepäck werden sie nicht eine, sondern zwei Raketen haben. „Dann haben wir auch zwei Chancen“, meint Barth.