Studie sieht keinen Zusammenhang zwischen Fehlbildungen und Nähe zu Kernkraftwerken.

Mainz/Stuttgart - Seit Jahrzehnten gibt es Diskussionen über erhöhte Gesundheitsgefahren in der Umgebung von Atomkraftwerken (AKW). Nun zerstreut eine Studie der Uni Mainz wenigstens die Sorge, dass Neugeborene in der Nähe von Kernreaktoren häufiger Fehlbildungen haben.

Zwei AKW-Standorte mit vier Blöcken gibt es in Baden-Württemberg, Neckarwestheim I und II sowie Philippsburg I und II. Obrigheim ist schon länger stillgelegt, seine im Rückbau befindlichen Bauteile strahlen noch schwach vor sich hin. Nun ist es nicht so, dass die Kraftwerke mitten in Wohngebieten stünden - sie liegen alle außerhalb. Doch auch dort lassen sich leicht erhöhte Strahlenwerte messen. Die Frage ist nur: In welcher Relation stehen sie zur allgemein akzeptierten Bestrahlung - etwa durch das Fliegen? Und wie gesundheitsgefährdend sind sie letztlich?

"Jeder Mensch ist in Deutschland einer natürlichen radioaktiven Strahlung von durchschnittlich 1,4 Millisievert pro Jahr (msv) ausgesetzt. Demgegenüber ist die gemessene zusätzliche Belastung in der Nähe deutscher Kernkraftwerke vernachlässigbar", sagt Annette Queißer-Wahrendorf. Sie arbeitet am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Uni Mainz und hat im Auftrag von Bundesumweltministerium und Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) 14 Monate lang Neugeborene in der Nähe und fernab von Atomkraftwerken untersucht.

Ergebnis: Von den 2423 Kindern, die in einem Umkreis von zehn Kilometern zu den AKW Philippsburg und Biblis (Hessen) groß geworden sind, kamen 4,5 Prozent mit einer Fehlbildung zur Welt. In der Vergleichsregion in der Pfalz und im Saarland betrug die Rate bei 2850 Probanden 4,7 Prozent. Da die Quote angeborener Fehlbildungen bei Kindern in Deutschland bei rund fünf Prozent liegt, lasse sich kein Einfluss des elterlichen Wohnsitzes in unmittelbarer Umgebung zu einem AKW auf eine angeborene Fehlbildung feststellen, sagt Queißer-Wahrendorf. Auch habe das Risiko nicht mit einer größeren Entfernung zum Kraftwerk abgenommen. Die Abweichung liege im natürlichen statistischen Schwankungsbereich. "Dass wir keinerlei Hinweise gefunden haben, hat uns sehr beruhigt", fügte die Studienleiterin hinzu.

In Baden-Württemberg kommen jedes Jahr rund 3000 Neugeborene mit einer Fehlbildung zur Welt. Zu den häufigsten Defekten zählen Herzfehler, Lippenspalten, offener Rücken, Down-Syndrom, Wasserkopf und fehlende Arme oder Beine. Etwa 20 Prozent sind erbbedingt, fünf bis zehn Prozent der Missbildungen beruhen auf chromosomalen Störungen, zwei bis fünf Prozent auf Virusinfektionen. In den meisten Fällen ist die Ursache unklar.

Bei Atomgegnern stößt Studie auf Skepsis

Die Studie sei eine der weltweit umfangreichsten Untersuchungen zum Thema Fehlbildungen in der Nähe von Kernkraftwerken, hieß es. Außerdem handle es sich um das erste medizinische Projekt, das nicht nach Störfällen in einem Problem-Kraftwerk in Auftrag gegeben worden sei, sondern den Einfluss von Reaktoren im Regelbetrieb analysiert habe, sagte Queißer-Wahrendorf.

Bei Atomgegnern stößt die Untersuchung auf Skepsis. Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) in Berlin kritisierte, dass die Studie aufgrund zu geringer Fallzahlen eine zu geringe statistische Nachweisstärke aufweise. Die Organisation erinnerte an eine Erhebung im Auftrag des Bundesamts für Strahlenschutz aus dem Jahr 2007.

Damals war zwischen 1980 bis 2003 in einem Umkreis von fünf Kilometern um die Reaktoren festgestellt worden, dass das Leukämie-Risiko für Kinder unter fünf Jahren wächst, je näher sie an einem Reaktor wohnen. Die Ursache für das erhöhte Risiko ist jedoch bis heute nicht nachgewiesen. Das BfS verweist darauf, dass sich der Anstieg nach derzeitigen Erkenntnisstand nicht allein aus der höheren Strahlenbelastung eines AKW erklären lässt. Andere Studien aus der Vergangenheit zum Thema Krebsrisiko bei Kindern konnten diese Frage auch nie abschließend beantworten.

Einer der schärfsten Atom-Kritiker im Land, der Grünen-Fraktionsvize Franz Untersteller, spricht von einem sehr "schwierigen und sensiblen Thema". Im Sinne der Gesundheitsvorsorge und unabhängig vom Ausgang der Diskussion über Laufzeitverlängerungen hält er es nach wie vor für erforderlich, die Grenzwerte für die Abgabe radioaktiver Emissionen aus kerntechnischen Anlagen abzusenken.

Die Mainzer Mediziner wollen als Nächstes die Fehlbildungen bei Kleinkindern von Müttern untersuchen, die wegen ihrer Arbeit, etwa als Röntgenassistentin, einer höheren Strahlenbelastung ausgesetzt sind. Einen ersten Hinweis darauf habe die AKW-Wohnort-Studie geliefert.