Bei diesem studentischen Forschungsprojekt geht es um den Anbau von Linsen. Foto: Uni Hohenheim

Mit dem Projekt Humboldt reloaded bietet die Uni Hohenheim bereits Studierenden die Möglichkeit, in Kleingruppen zu forschen. Eine Wirkungsstudie belegt jetzt den Erfolg dieses Angebots. Doch die Fortsetzung ist keinesfalls gesichert.

Stuttgart - Studierende sollen mehr forschen statt pauken. Das haben Wissenschaftler im Rahmen einer internationalen Konferenz an der Universität Hohenheim gefordert. In einem Memorandum sprechen sie sich für mehr Freiraum für Studierende und das forschende Lernen in kleinen Gruppen aus. Wie so etwas funktionieren kann, erprobt die Uni Hohenheim seit acht Jahren in ihrem Projekt Humboldt reloaded. Dabei lernen Studierende bereits im dritten Semester, Datensätze zu analysieren, beispielsweise die Umsatzeinbußen bei Unternehmen durch den Brexit zu errechnen, Blutparasiten bei Vögeln aus Madagaskar nachzuweisen – und ganz nebenbei auch, kritische Fragen zu stellen und ihre Forschungsergebnisse auf einer Konferenz zu präsentieren.

Die meisten Studierenden investieren mehr als 120 Stunden pro Semester – zusätzlich

4000 Studierende der Uni Hohenheim haben seit 2011 an dem Reformprojekt teilgenommen und in Kleingruppen eigene Forschungsansätze verfolgt – freiwillig. Jetzt belegt eine Wirkungsstudie signifikante Unterschiede zwischen den Lernfortschritten der Teilnehmer am Humboldt-reloaded-Projekt und denen der Nichtteilnehmer. Denn das Projekt läuft parallel zum Studium, und mehr als die Hälfte aller Teilnehmer investiert mehr als 120 Stunden im Semester dafür – zusätzlich. Eine Zwischenbilanz der Wirkungsstudie, bei der mehr als 300 Studierende befragt wurden, belegt, dass es vor allem bei der Recherche-Kompetenz, der Fachkompetenz, der Sozialkompetenz und der personellen Kompetenz „signifikante Verbesserungen im Vergleich zur Kontrollgruppe“ gibt, wie Projektleiterin Johanna Sand erklärte. Zudem hätten sich die Projektteilnehmer früher in ihren Noten verbessert als die Nichtteilnehmer. „64 Prozent der Projektteilnehmer sagen, dass der verhältnismäßig hohe Aufwand sich beim Lernerfolg niederschlägt“, so Sand. 80 Prozent der Teilnehmer empfehlen das Projekt weiter. „Man lernt im Labor auch einige Tricks – und es macht einfach Spaß“, hatte der Biostudent Falko Gröner geäußert, als er an Blutparasiten geforscht hatte.

„Wir wollen den Umsturz – Lehre muss sich neu erfinden“, sagte Martin Blum, Zoologie-Professor und Initiator des Projekts Humboldt reloaded. „Die Kompetenzvermittlung muss im Vordergrund stehen und nicht die Wissensvermittlung – es kann nicht sein, dass wir die Leute nur im Hörsaal beschallen.“ Diese Meinung teilen auch Philipp Pohlenz von der Uni Magdeburg und Peter Tremp von der PH Luzern (Schweiz), Mitautoren des Memorandums. Die Welt sei von steigender Komplexität geprägt, von Klimawandel, demografischem Wandel – „da braucht es Köpfe, die Offenheit mitbringen für gesellschaftliche Fragestellungen“, so Pohlenz. Tremp ergänzte, forschendes Lernen professionalisiere auch die Lehre. So systematisch, wie dies bei Humboldt reloaded in Hohenheim erfolge, das den ganzen Forschungskreislauf abdecke, geschehe dies im deutschsprachigen Raum selten.

1,9 Millionen Euro im Jahr würde die Fortsetzung von Humboldt reloaded kosten

Korinna Huber, Prorektorin für Lehre in Hohenheim, gab zu bedenken, dass dieses fächerübergreifende Lehrformat durch seine kleinen Betreuungsgruppen „sehr ressourcenintensiv“ sei. Vier bis sechs Leute im Labor sei eben was anderes als 100 Leute im Hörsaal. 15 Millionen Euro habe Hohenheim dafür aus dem Qualitätspakt Lehre erhalten, aber die Mittel laufen Ende 2020 aus. Es sei noch unklar, ob und wie das Projekt weiterfinanziert werden könne. „Wir würden die Mittel gern fest einplanen – 1,9 Millionen Euro pro Jahr würden wir gut finden“, so Huber. Den Großteil benötige man für die Betreuer. Der Aufbau einer hochschulweiten Struktur für dieses Lehrformat, die Gewinnung engagierter Hochschullehrer als Multiplikatoren und die Entwicklung fächerübergreifender Unterstützungsangebote sei kein Selbstläufer, heißt es in dem Memorandum.

Zuspruch erhalten die Forscher von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne): „Wir brauchen junge Menschen, die Fragen stellen, die sich kritisch mit der Welt auseinandersetzen.“ Deshalb fördere ihr Ministerium auch forschendes Lernen – seit 2011 mit insgesamt 100 Millionen Euro aus dem Fonds Erfolgreich studieren in Baden-Württemberg. Was nach 2020 läuft, lässt sie allerdings offen.