Zwei Monate dauert es nicht mehr: Mit solchen Schildern werben Lucy Schanbacher Foto: Rüdiger Ott

An der Universität wird in zwei Wochen Geschichte geschrieben. Dreieinhalb Jahrzehnte nach der Abschaffung der verfassten Studierendenschaft während der Hochphase des RAF-Terrors dürfen Studenten wieder selbst entscheiden.

Stuttgart-Plieningen - Die Erdbeeren wollen ins Parlament; die Aktiven Hohenheimer Studierenden ebenfalls. Und auch die Grüne Liste hat sich um einige Plätze beworben. Dazu kommen noch vier Gruppen, die sich für ihre jeweiligen Fachschaften zur Wahl stellen. 88 Bewerber sind es insgesamt, die einen Stuhl in dem 19-köpfigen Gremium ergattern wollen. Bunt gemischt nennt Lucy Schanbacher die Schar der Interessierten, manche sind konservativ, manche eher nicht. „So ist das eben in der Demokratie“, sagt die Studentin. „Und es wird spannend sein, wie die Gruppen Werbung für sich machen werden.“

In zwei Wochen betreten die Hohenheimer Neuland. Fast 10.000 Studenten – so viele sind an der Uni eingeschrieben – können ihre Stimmen abgeben und eine eigene Vertretung wählen. Am Dienstag, 18. Juni, und Mittwoch, 19. Juni, werden in der Aula des Schlosses Urnen aufgestellt. Eine solche Wahl hat es in Baden-Württemberg seit dreieinhalb Jahrzehnten nicht mehr gegeben, eine Gesetzesänderung der grün-roten Landesregierung vor einem Jahr und die Wiedereinführung der verfassten Studierendenschaft hat es möglich gemacht. Wie viele Akademiker von der neu gewonnenen politischen Freiheit Gebrauch machen werden, ist unklar. Es sind zwei Tage für die Auszählung der Stimmen eingeplant.

„Dass wir Geld besitzen dürfen, ist eine Riesenchance“

Seit zwei Jahren arbeitet Schanbacher für diesen Tag. Die Kommunikationswissenschaftlerin ist Sprecherin des Asta, des Allgemeinen Studierendenausschusses. Der vertritt bislang die Interessen der Studenten. Letztlich hat das Rektorat bei wichtigen Entscheidungen die Studenten zwar stets nach ihrer Meinung gefragt, die Unileitung hätte diese aber auch ignorieren können.

Künftig können die Studenten bei für sie wichtigen Themen selbst entscheiden. „Schon allein, dass wir Geld besitzen dürfen, ist eine Riesenchance“, sagt Schanbacher. Wohl zwischen fünf und zehn Euro – das ist noch nicht klar – wird jeder Student pro Semester in den Topf geben. Im Jahr könnten so also durchaus 200.000 Euro zusammenkommen.

Jeder muss den Beitrag zahlen

Nicht alle sind derweil der Meinung, dass die Studenten den Asta gegen ein eigenes Parlament eintauschen sollten. Vor allem die Junge Union hat kritisiert, dass die verfasste Studierendenschaft einer Zwangsmitgliedschaft gleichkomme. Denn jeder muss den Beitrag zahlen, durch den die Arbeit des Parlaments finanziert wird. Lucy Schanbacher ficht das nicht an. „Ein paar Euro pro Semester sind doch Peanuts“, sagt sie. „Dafür hat man aber einen großen Mehrwert.“

„Wir könnten Leute anstellen, die beispielsweise in Rechtsfragen beraten“, sagt die 23-jährige Studentin. Sportangebote könnten finanziert werden oder größere Anschaffungen. Auch eine psychologische Beratungsstelle könnte eingerichtet werden. „Das ist alles in der Debatte“, sagt Schanbacher. „Was davon umgesetzt wird, ist aber die Entscheidung des Studierendenparlaments.“

Ebenso unklar wie die Themen, mit denen sich die Studenten künftig befassen werden, ist die praktische Vorgehensweise. Wo die Parlamentsmitglieder tagen werden und wie oft, ist noch nicht entschieden. „Wir arbeiten gerade an einer Geschäftsordnung“, sagt Schanbacher. Dem Papier müssen die künftigen Delegierten in ihrer ersten Sitzung zustimmen. Freilich können sie auch einige Punkte ändern oder das Papier rundheraus ablehnen; schließlich handelt es sich nur um einen Vorschlag.. „Wie das alles in Zukunft aussehen wird, ist eine große Überraschung“, sagt die Studentin. „Es kommt eben darauf an, was die Leute daraus machen.“

Ein Parlament für 10.000 Studenten

Ein Parlament für 10.000 Studenten


Geschichte: 1977 wurde die verfasste Studierendenschaft im Land unter dem Eindruck der RAF abgeschafft. Der damalige Ministerpräsident Hans Filbinger sah in ihr einen "Sympathisantensumpf des Terrorismus". Der Allgemeine Studierendenausschuss, kurz Asta, vertrat fortan die Studenten. 2012 nahm Grün-Rot die Entscheidung zurück.

Struktur: Verfasste Studierendenschaft heißt, dass die Gesamtheit der Studenten eine eigene juristische Körperschaft ist. Die Studenten dürfen Geld verwalten und Entscheidungen treffen. Anfang Januar gaben sich die Hohenheimer eine Verfassung. Auch andere Unis arbeiten daran.

Wahlen: In Hohenheim wird erstmals am 18. und 19. Juni gewählt und dann jährlich. Wahlberechtigt sind alle derzeit 10.000 Studenten. Das Parlament hat 19 Sitze.