Die Attestaffäre an der Uni Hohenheim zieht weitere Kreise. Jetzt packt ein Student aus. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Erstmals meldet sich ein Hohenheimer Wirtschaftsstudent in der Attestaffäre zu Wort: Er erzählt, wieso es zu dem massenhaften Prüfungsabbruch kam und wie die Sache mit „Doktor Holiday“ läuft. Die Geschichte klingt wie in einem schlechten Film.

Stuttgart - Der 23. Mai war für Julian Müller (Name von der Redaktion geändert) ein Überraschungstag. Bei der Grundlagenprüfung in Finanzwirtschaft fiel der Hohenheimer Wirtschaftsstudent aus allen Wolken. „Die Prüfung war zu schwer – und es kam etwas ganz anderes dran, als uns in der Übung angekündigt worden war“, berichtet der junge Mann. Dabei habe es in der Übung geheißen: „Wer das schafft, packt die Prüfung locker.“ Müller dachte, „ich schreib was zwischen eins und zwei“. Doch so war es wohl nicht. „Wir wurden einfach in die falsche Richtung gelenkt“, erzählt Müller. „Es lag aber nicht an Mathe“, versichert er, „es gab einige im Saal, die den Prüfer gefragt haben, ob sie in der richtigen Prüfung sitzen.“ Nach 20 Minuten habe er vorgehabt, „meine Ergebnisse durchzustreichen“. Doch da hatte bereits ein gutes Dutzend seiner Kommilitonen die Prüfung abgebrochen und stand Schlange, um dies protokollieren zu lassen. „Da hab ich gedacht, warum soll ich durchstreichen, wenn ich auch einfach so abbrechen kann.“ Es habe eine gewisse Dynamik gegeben: Inklusive Müller verließen 48 der 202 erschienenen Prüflinge die Säle.

Das Prüfungsamt akzeptiert nur nachgewiesene Spontanerkrankungen

Doch das sieht die Prüfungsordnung so nicht vor. Zu Beginn der Prüfung wurden die Studierenden laut Uni belehrt: „Wer die Prüfung jetzt beginnt, erklärt sich dadurch prüfungsfähig. Ein Rücktritt nach Beginn der Prüfung ist nur ausnahmsweise (bei nicht erkannter Prüfungsfähigkeit) möglich.“ Das bedeutet: Nur Krankheitssymptome, die spontan während der Prüfung auftreten und das Leistungsvermögen prüfungsrelevant beeinträchtigen, sind als Rücktrittsgrund zulässig.“ Natürlich musste das konkret und schlüssig vom Arzt attestiert und der Uni noch am selben Tag vorgelegt werden.

Julian Müller war nicht krank. Das Attest besorgte er sich trotzdem. Von „Doktor Holiday“. Das laufe ganz unkompliziert, berichtet der Student. „Wenn man ein Attest braucht, geht man zu ihm. Man muss sagen, was man hat, und das schreibt man auf.“ Allerdings sei es „egal, was man gesagt hat, der Arzt schreibt immer dasselbe auf, das läuft schon länger so“. Also standen die Abbrecher Schlange in „Doktor Holidays“ Praxis. Eine wirkliche Untersuchung habe es aber nicht gegeben.

Ein ausführliches Attest verweigerte „Doktor Holiday“

Nachdem das Prüfungsamt „sachlich begründete Zweifel an der Richtigkeit dieses vorgelegten ärztlichen Attests“ hatte und den Prüfungsrücktritt ablehnte, versuchten Müller und seine Kommilitonen natürlich, von „Doktor Holiday“ ein ausführlicheres Attest zu bekommen – „das gab’s aber nicht“. Der Mediziner sei der Meinung gewesen, „die Uni habe das so zu akzeptieren“. Doch dem Prüfungsamt waren die Krankheitsgründe Kopfschmerzen/Sehstörungen und Übelkeit/Erbrechen zu dünn. „Die Entscheidung der Uni ist okay“, meint Müller. Weil für ihn die Prüfung kein Drittversuch war, hat er – anders als drei seiner Mitprüflinge, die wohl exmatrikuliert werden – noch Spielraum zum Wiederholen.

Auch bei 103 weiteren Krankmeldern mit Attesten von „Doktor Holiday“ hat das Prüfungsamt Zweifel angemeldet. Es werden sich wohl wieder lange Schlangen vor der Arztpraxis gebildet haben. Anzeigen will die Uni den Doktor nicht. Es könnte aber dennoch sein, dass die Ärztekammer bei so einem Kollegen genauer hinschaut – berufsrechtliche Folgen nicht ausgeschlossen. Der Arzt selbst äußert sich zu den Vorwürfen nicht.