Dieses undatierte Bild, das von OceanGate Expeditions im Juni 2021 zur Verfügung gestellt wurde, zeigt das Titan-Tauchboot des Unternehmens. Foto: Uncredited/OceanGate Expeditions/AP/dpa

Fünf Menschen starben bei der Implosion des Tauchboots „Titan“ auf dem Weg zum Wrack der „Titanic“. Das erste Trümmerfoto und der letzte Funkspruch der Crew sind jetzt veröffentlicht worden. Und: Der frühere Chefingenieur erhebt schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen Oceangate.

Im Juni 2023 implodierte das Tauchboot „Titan“ auf dem Weg zum Wrack der untergegangenen „Titanic“. Alle fünf Insassen kamen ums Leben. Der Chefingenieur hinter dem experimentellen Gefährt des Unternehmens Oceangate, Tony Nissen, hat nun schwere Vorwürfe gegen einen Mitgründer der Firma erhoben, der selbst bei dem Vorfall getötet wurde.

 

Er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, sagte Nissen, das U-Boot bereit für Tauchgänge zu machen und sich einige Jahre zuvor geweigert, selbst eine Pilotfahrt mit dem Gefährt zu unternehmen.

Anhörung der US-Küstenwache zum „Titan“-Unglück

„Ich steige da nicht ein“, habe er zu Oceangate-Mitgründer Stockton Rush gesagt, berichtete Nissen, als er jetzt als erster Zeuge in einer Untersuchung der US-Küstenwache aussagte.

Die Aussage war der Auftakt einer zweiwöchigen Anhörung im Zuge der Ermittlungen rund um das Unglück am 18. Juni 2023, das eine weltweite Debatte über die Zukunft privater Tiefseeerkundungen auslöste. Die genaue Unfallursache ist derzeit Gegenstand der Untersuchungen.

Erstes Wrack-Foto veröffentlicht

Die US-Küstenwache hat zudem das erste Wrack-Foto des Tauchbootes veröffentlicht. Es zeigt ein Trümmerteil, das am Grund des Atlantiks liegt. Bei dem Teil handelt es sich um das kegelförmige Heck des Tauchbootes, das offenbar bei der Implosion vom Rest der „Titan“ abgetrennt wurde.

Schwierige Zusammenarbeit mit Oceangate-Mitgründer Rush

Nissen berichtete weiter, es sei teils nicht leicht gewesen, für Rush zu arbeiten. Dieser sei unter anderem oft sehr auf Kosten und Zeitpläne fokussiert gewesen. Rush habe für seine Interessen gekämpft. Und die hätten sich manchmal von einem Tag auf den anderen geändert.

Trümmerteile der „Titan»“, die vom Meeresboden in der Nähe des Wracks der Titanic geborgen wurden, werden am 28. Juni 2023 am Pier der kanadischen Küstenwache vom Schiff „Horizon Arctic“ im Hafen von St. John’s entladen. Foto: Paul Daly/The Canadian Press/AP/dpa

Er habe sich darum bemüht, die Auseinandersetzungen hinter geschlossenen Türen zu halten, damit der Rest des Unternehmens nichts davon mitbekomme. Die meisten Menschen hätten Stockton gegenüber schließlich nachgegeben, erklärte Nissen bei der Anhörung in Charleston im Bundesstaat South Carolina.

Aufhorchen ließ auch Nissens Angabe, dass die „Titan“ bei einer Testmission im Jahr 2018 von einem Blitz getroffen worden sei, was möglicherweise die Hülle des Tauchboots beeinträchtigt habe. Auf die Frage, ob es Druck gegeben habe, die „Titan“ ins Wasser zu bekommen, antwortete er: „100 Prozent.“

Tauchboot wies eklatante Sicherheitsmängel auf

Nissen berichtete weiter, dass er die Pilotfahrt einst verweigert habe, weil er den zuständigen Mitarbeitern nicht vertraut habe. Im Jahr 2019 habe er zudem einen Tauchgang zum Wrack der „Titanic“ verhindert und Rush gesagt, die „Titan“ funktioniere nicht so, wie man es angenommen habe.

Im selben Jahr wurde er bei Oceangate gefeuert. Die „Titan“ sei aber zusätzlichen Tests unterzogen worden, bevor sie später Tauchgänge zu dem berühmten Schiffswrack unternommen habe, sagte er.

„Titan“-Besatzung schickte noch Botschaft „Alles gut hier“

Aus einer von der US-Küstenwache vorgestellten Animation zum Schicksal der „Titanic“ geht zudem hervor, dass die Besatzung kurz vor der Implosion noch die Botschaft „Alles gut hier“ an die Oberfläche geschickt hat.

Der Präsentation zu entnehmen ist, dass die Besatzungsmitglieder der „Titan“ per Textnachrichten mit Helfern an Bord des Schiffs „Polar Prince“ kommunizierten. Sie tauschten sich noch zu Tiefe und Gewicht des Tauchboots „Titan“ aus, kurz danach brach der Kontakt ab.

Sieben Monate der Witterung ungeschützt ausgesetzt

Die Schiffsbesatzung fragte dann wiederholt, ob die „Titan“ die „Polar Prince“ noch auf der Anzeige an Bord sehen könne. Eine der letzten Antworten von der „Titan“ war dann „Alles gut hier“.

Vertreter der Küstenwache sagten aus, dass das Tauchboot über einen Zeitraum von sieben Monaten zwischen 2022 und 2023 bei der Lagerung der Witterung ausgesetzt gewesen sei. Zudem sei der Rumpf der „Titan“ nie gemäß dem Standard-Verfahren durch eine Drittpartei überprüft worden.

Die Suche nach dem Tauchboot nach seinem Verschwinden hatte weltweit für Aufsehen gesorgt. Trümmerteile der „Titan“ wurden auf dem Meeresgrund etwa 300 Meter vom Wrack der „Titanic“ entfernt gefunden, wie die Küstenwache mitteilte.

Tauchboot implodierte: Was bedeutet das?

Bei einer Implosion bricht ein Objekt schlagartig zusammen, wenn der Außendruck größer ist als der Innendruck. Sie steht im umgekehrten Kräfteverhältnis zu einer Explosion. Schon der kleinste strukturelle Defekt kann in großer Tiefe eine solche Katastrophe auslösen.

Das Tiefsee-Tauchboot „Titan“. Foto: dpa-Infografik

Die Insassen des Tauchboots haben Experten zufolge von der Implosion ihres Gefährts nichts mehr mitbekommen. Der Druck auf das Tauchboot sei in so großer Tiefe massiv gewesen. Die Implosion sei im Bruchteil einer Millisekunde passiert, erklärte die ehemalige Marineoffizierin Aileen Marty, eine Professorin für Katastrophenmedizin.

Das menschliche Gehirn könne die Lage so schnell gar nicht erfassen, so Aileen Marty. „Das ganze Ding ist kollabiert, bevor die Menschen darin überhaupt bemerken konnten, dass es ein Problem gab.“

Die Insassen der Titan seien auf eine Art und Weise gestorben, bei der sie nicht einmal gewusst hätten, dass sie sterben würden. „Letztlich ist dies mit Blick auf die vielen Möglichkeiten, auf die wir sterben können, schmerzlos.“

Info: Untergang der „Titanic“

„Titanic“
Am 15. April gegen 2.20 Uhr sank die „Titanic“, nachdem sie am 14. April um 23.40 Uhr im Nordatlantik – etwa 300 Seemeilen südöstlich von Neufundland – einen Eisberg gerammt hatte. 1514 der mehr als 2200 Menschen an Bord kamen dabei ums Leben. Das Unglück zog in die Geschichtsbücher ein – und später auch in die Drehbücher Hollywoods.

Wrack
Schon in 15 bis 20 Jahren könnten die Überreste komplett verschwunden sein, schätzen Wissenschaftler des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) für Polar- und Meeresforschung. „Das Wrack ist von Biofilmen und Rost überzogen“, erklärt AWI-Leiterin Antje Boetius. Forscher entdeckten vor einigen Jahren in den Rostflocken eine Bakterienart, die nach ihrem Fundort „Halomonas titanicae“ genannt wurde. „Eigentlich wächst dieses Bakterium gerne im Warmen bei über 30 Grad“, erklärt Antje Boetius. „Aber dort, wo das Wrack liegt, sind es vier Grad.“

Tiefsee
In der kalten Tiefsee müssten die Schiffsüberreste geschützt sein. Tatsächlich aber zersetzen die Mikroben trotz der Kälte die Schiffswände. „Sie tragen dabei nicht langsam Millimeter für Millimeter die Oberfläche ab, sondern verursachen Lochfraß“, erläutert die Meeresbiologin. „Dadurch wird das Wrack instabil und fällt irgendwann zusammen.“ Auch den Grund für die Zersetzung des Unesco-Weltkulturerbes kennen die Wissenschaftler. „Die Bakterien entziehen dem Eisen Elektronen als Energiequelle, um wachsen zu können. Sie leben also direkt vom Metall.“