Für viele das größte Glück auf Erden: ein eigenes Kind. Wenn es nicht klappen will, ist das für Paare oft eine große Belastung. Foto: dpa

Kinder zu bekommen, ist eigentlich die normalste Sache der Welt. Doch bei manchen klappt es nicht. So wie bei Anna Schatz. Ein Gespräch über die unerfüllte Sehnsucht und das Stigma Kinderlosigkeit.

Stuttgart - Anna Schatz, geboren 1981, ist gelernte Buchhändlerin, arbeitet als Autorin und lebt mit ihrem Partner in Hamburg. Seit vielen Jahren begleitet sie der unerfüllte Kinderwunsch, einige Fehlgeburten inklusive. Im Interview spricht sie über das Tabuthema ungewollte Kinderlosigkeit.

Frau Schatz, Sie gehören zu den rund sechs Millionen Deutschen, die ungewollt kinderlos sind. Wie gehen Sie damit um?

Das ist situationsabhängig. Natürlich begleitet mich diese unerfüllte Sehnsucht täglich, aber ich habe einen Weg gefunden, damit umzugehen. Das Problem ist das Stigma, mit dem man als kinderlose Frau automatisch leben muss.

Wie meinen Sie das?

Wenn das Thema Kinder angesprochen wird – und gerade Frauen werden in einem bestimmten Alter häufig darauf angesprochen –, finde ich den Umgang der Leute damit teilweise übergriffig. Mit der Frage, ob man Kinder will, ist es ja oft nicht getan. Man muss sich erklären. Es mangelt manchen Leuten an Sensibilität, man weiß doch nie, wie die Frau die Situation empfindet. Für die einen ist es ein wunder Punkt, bei den anderen ist es eine freie Entscheidung. Wenn man bereits Kinder hat, machen die Leute einen Haken dran, dann scheint für sie alles in bester Ordnung. Alles andere muss man erklären oder man hat zumindest das Gefühl, dass den Leuten die Aussage „Ich habe keine Kinder“ nicht ausreicht.

Haben Sie Strategien entwickelt, um sich gegen solche Übergriffigkeiten zu schützen?

Ich antworte manchmal mit Gegenfragen, um der Situation zu entgehen. Oder auf die Frage, warum wir keine Kinder haben, sage ich Sätze wie „Ein Kind ist ja kein Auto, das man sich einfach kaufen kann“. Wenn ich die Leute nicht so sympathisch finde, konfrontiere ich sie auch mit ihrer mangelnden Sensibilität und frage zurück, ob sie das nicht ein bisschen indiskret finden. Wenn ich merke, mein Gegenüber ist wirklich interessiert, dann rede ich offen drüber.

Die WHO erkennt die ungewollte Kinderlosigkeit als Krankheit an. Fühlen Sie sich krank?

Ich sehe das nicht als Krankheit, das würde ja bedeuten, dass nur die Paare, die Kinder haben, gesund sind. Aber was die psychische Belastung angeht, kann man zumindest von einem Leiden sprechen. Ich finde es vernünftig, dass die Krankenkassen Versuche mit künstlicher Befruchtung teilweise übernehmen.

Sie haben sich aber bewusst gegen die Reproduktionsmedizin und gegen eine Adoption entschieden. Warum?

Gegen eine Adoption habe ich mich nicht aktiv entschieden, ich bin Freiberuflerin, da sind die Hürden einfach zu hoch, ich rutsche auf der Bewerberliste automatisch nach hinten. Bei der künstlichen Befruchtung bin ich vorbelastet, ich habe den Stress, der damit verbunden ist, in der Verwandtschaft miterlebt. Ich bin vielleicht auch katholisch genug, um zu sagen: Wenn es nicht klappt, dann soll es wohl auch nicht so sein.

Für viele ist die künstliche Befruchtung ein Hoffnungsschimmer, der in der Realität auch oft von Erfolg gekrönt ist …

Ich habe keine Probleme damit, wenn Paare das für sich in Anspruch nehmen. Aber für mich ist es einfach nicht der richtige Weg. Ich möchte mich auch eher aus dieser Hoffnungsspirale lösen, als immer weiter hineinzugeraten.

Die Hürden, ein Adoptivkind in Deutschland zu bekommen, sind hoch. Haben Sie schon mal über die Aufnahme eines Pflegekinds nachgedacht?

Es gibt sehr viele Kinder, die unter schlechten Bedingungen aufwachsen. Und es gibt viele ungewollt kinderlose Paare, die quasi fertig eingerichtete Kinderzimmer haben und die sich unglaublich freuen würden, einem solchen Kind ein Zuhause zu geben. Ein Pflegekind ist trotzdem noch nicht der richtige Weg für mich, aber zu einem späteren Zeitpunkt würde ich das nicht ausschließen.

Glauben Sie, dass sich Männer leichter mit der Kinderlosigkeit arrangieren können?

Ein Mann wird seltener gefragt, ob er Kinder hat, das werden eher die Frauen gefragt. Daher müssen sie sich weniger damit auseinandersetzen. Die Frauen kriegen nun mal die Kinder, daher müssen sie sich auch an erster Stelle rechtfertigen, wenn sie keine haben. Aber es gibt auch sehr viele Männer, die darunter leiden. Die dürfen aber erst recht nicht offen darüber sprechen.

Können Sie verstehen, wenn sich Frauen aus freien Stücken gegen Kinder entscheiden?

Ich kann es akzeptieren und respektieren, aber verstehen kann ich es nicht. Ich finde es schwierig, damit umzugehen, weil einem solche Frauen so modern, selbstbestimmt und unabhängig vorkommen und man selbst möchte einfach gerne endlich zu Hause Brei kochen oder Plätzchen backen.

Zum Thema ungewollte Kinderlosigkeit

Ein unerfüllter Kinderwunsch ist laut Experten ebenso oft durch den Mann wie durch die Frau bedingt. Fruchtbarkeitsstörungen können genetisch, hormonell oder psychisch bedingt sein. Die Chancen einer 35-Jährigen, gesunden Nachwuchs zu bekommen, stehen nur noch halb so gut wie für eine 25-Jährige. Männer bleiben zwar länger zeugungsfähig, doch ab 30 verschlechtert sich ihre Spermienqualität kontinuierlich. Bestimmte Krankheiten, Umwelteinflüsse und ein ungesunder Lebensstil können sich zudem negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken. Ein Drittel aller Frauen mit Fruchtbarkeitsproblemen leidet an einer Hormonstörung oder einer Fehlfunktion der Eileiter. Bei jeder fünften Betroffenen liegen Verwachsungen der Gebärmutter oder des Gebärmutterhalses vor. Bei den meisten zeugungsunfähigen Männern liegt das an einer schlechten Spermienqualität, die meist hormonell bedingt ist. Immer mehr betroffene Paare entscheiden sich für eine künstliche Befruchtung, die Zahl der Geburten nach einer solchen Behandlung ist in Deutschland rasant angestiegen: 2015 wurden mehr als 20 000 Babys geboren. Die Erfolgschancen hängen auch hier stark vom Alter der Mutter ab. Bei einer 35-jährigen Frau lagen sie laut Ärzten bei 27 Prozent pro Behandlung, bei einer 40-jährigen bei 15 Prozent und bei einer 44-jährigen nur noch bei gut drei Prozent.

Anna Schatz hat ein Buch zum Thema ungewollte Kinderlosigkeit geschrieben: „Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen“ ist im Rowohlt Verlag erschienen (14,99 Euro). Weitere Bücher zum Thema: Tewes Wischmann und Heike Stammer: „Der Traum vom eigenen Kind: Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch“ (Kohlhammer, 2016); Franziska Ferber: „Unsere Glückszahl ist die Zwei: Wie wir uns von unserem Kinderwunsch verabschiedeten und unser neues, wunderbares Leben fanden“ (Eden Books, 2016); Sarah Diehl: „Die Uhr, die nicht tickt: Kinderlos glücklich“ (Arche, 2014).