Wohngemeinschaft mit Vorlesestunde: Renate Heumann (rechts) und Margarethe Klages nehmen Marit Meinhold in die Mitte. Foto: Oeding

Mit 25 Jahren ins Altenheim? In Konstanz wird das gerade erprobt: die Studentin Marit Meinhold bezahlt den Fünf-Sterne-Service im Tertianum mit Zeit. 20 Stunden im Monat befasst sie sich mit ihren betagten Mitbewohnern. Funktioniert das?

Konstanz - Studenten gibt es in Konstanz mehr als genug. „Man muss aufpassen, dass man nicht überfahren wird, wenn sie auf ihren Fahrrädern durch die Fußgängerzone rasen“, sagt Renate Heumann. Da musste sie schon einige Male zur Seite springen. Persönliche Kontakte hatte die 76-Jährige bisher jedoch keine – bis Marit Meinhold ins Tertianum einzog.

Es war Anfang September, da hielt plötzlich ein ausgeliehener VW Transporter vor dem stattlichen Bürgerhaus mitten in der Konstanzer Altstadt. Junge Leute trugen die Zutaten einer typischen Studentenbude nach oben: einen großen Schrank mit weißen Türen, ein Ikea-Bett und einen frisch beklebten alten Resopaltisch, ein Erbstück von Marit Meinholds Urgroßtante. Die Mama versorgte die Umzugshelfer mit Kürbissuppe. Jetzt wohnt die Lehramtsstudentin unter dem Dach der noblen Konstanzer Seniorenresidenz – eine ungewöhnliche Karriere für eine 25-Jährige.

Wohnen mit Fünf-Sterne-Komfort

Es ist ein PR-Gag, aber auch ein spannendes Generationenprojekt, das sich der private Anbieter von Seniorenwohnungen mit Niederlassungen in Berlin, München und am Bodensee da leistet. Ein Jahr lang genießt Marit Meinhold den Fünf-Sterne-Komfort des Tertianums. Wenn Sie Hunger hat, darf sie sich in einem Aufenthaltsraum kostenlos an der Kühltheke bedienen. Die Mensa kann sie sich sparen. Im Speisesaal wird täglich ein kostenloses Menü serviert. Alles ist abgestimmt auf die gut betuchte Zielgruppe 70plus. Und was für Senioren gut ist, kann für Studenten nicht schlecht sein. Nur auf den sonst üblichen Room-Service muss die junge Frau verzichten.

2800 Euro pro Monat würde die Zwei-Zimmer-Wohnung mit 50 Quadratmetern und Blick auf einen kleinen Dachgarten inklusive aller Annehmlichkeiten normalerweise kosten – selbst in Konstanz, wo Studentenbuden wegen der Lage zwischen Bodensee und Schweiz knapp und teuer sind, wäre das ein stolzer und für Bafög-Empfänger unerschwinglicher Preis. Doch die Studentin zahlt in einer anderen Währung: mit Zeit. 20 Stunden im Monat soll sie sich mit ihren betagten Mitbewohnern beschäftigen. „Wir wollen die Älteren in der Gesellschaft nicht isolieren, sondern Menschen jeden Alters immer wieder zusammenbringen“, sagt Anna Schingen von der Tertianum-Geschäftsführung.

Crashkurs für die Mitbewohner

Es war ein strenges Auswahlverfahren, dem sich Marit Meinhold, deren WG sich gerade auflöste, vor ihrem Einzug stellten musste. Renate Heumann, selbst eingerichtet im englischen Stil, weiß genau, was sie von ihr erwartet. „Ich hoffe, sie kann mir ein paar Tricks am Computer verraten“, sagt die 76-Jährige. Früher hat die Berliner Elektroingenieurin bei Daimler gearbeitet. Doch neulich sei sie fast daran gescheitert, einen Text vom einen Format ins andere zu konvertieren. Als es doch ging, war sie auch nicht glücklich. „Es ärgert mich, wenn dett so zufällig funktioniert“, berlinert sie.

Zwar hat das Tertianum auch Pflegeplätze. Doch wer einzieht, ist meist noch gut beieinander. Das gilt auch für Margarethe Klages, die vor einem Jahr aus Bremen kam. Wenn sie zu ihrer Tochter in die Schweiz fährt, druckt sie sich ihr Bahnticket am Computer aus. Dennoch hofft auch sie auf technische Hilfe. „Meine Tochter sagt immer, ich soll in einer fremden Stadt mit dem Smartphone nach dem Weg suchen“, sagt die rüstige 92-Jährige. Leider fehlen Tochter und Enkelkindern die Geduld, die App zu erklären. Jetzt hofft sie auf einen Crashkurs. Wobei: am wichtigsten sei es, einfach quatschen zu können, zu erfahren, wie die Jungen so tickten und welche Sorgen und Nöte sie hätten. „Da muss man nicht immer nur über das Alter sprechen“, sagt Renate Heumann. Bisher gestalte sich das Zusammenleben ziemlich unkompliziert, meint Marit Meinhold. Okay, sie sei ja kein Erstsemester mehr. Gerade beginnt sie mit ihrer Doktorabeit. Bei ihrer Examensfeier neulich habe sie mit ein paar Studienfreundinnen aber schon bis 2 Uhr nachts gefeiert.

Und was ist mit Herrenbesuch?

Beschwerden gab es keine. Kein Wunder: Der Fernseher aus der Nachbarwohnung lief eh lauter. Herrenbesuch ist übrigens kein Problem. „Wir sind ja alle erwachsen“, sagt die Tertianum-Sprecherin Annett Oeding – auch wenn Marit Meinhold, die Studentin, und Margarethe Klages, die Seniorin, fast 70 Lenze trennen.