Die Kathedrale von Pecs. Foto: dpa

"Die grenzenlose Stadt" – das südungarische Pécs präsentiert sich als Kulturhauptstadt Europas 2010.

Es scheint, als habe sich Pécs noch einmal eine Atempause gegönnt vor dem großen Ansturm. An Veranstaltungen passierte über Ostern noch nicht viel. Statt von der Muse geküsst wird die eher verträumte Stadt von Baggern und Presslufthämmern an allen Ecken und Enden malträtiert. Man wird das Gefühl nicht los, dass im Endspurt alles gleichzeitig geschieht. Programmdirektor Tamás Szalay umschreibt die Situation elegant mit "Kulturhauptstadt in Progress".

Das meiste Geld aus dem Kulturhauptstadt-Etat von insgesamt 180 Millionen Euro fließt in Bauprojekte. An nicht weniger als 70 Stellen wird saniert. Die Kulturmeile, die auf einem Teil der Zsolnay-Porzellanmanufaktur entstehen soll, ist ebenso wenig fertig wie die lang diskutierte Kongress- und Konzerthalle als Sitz der Pannonischen Philharmonie oder das Bibliotheks- und Wissenschaftszentrum. Doch da der Zuschlag für das Kulturhauptstadt-Jahr erst 2006 erfolgte, waren die Baustellen wohl in der Planung bereits vorgesehen.

Aber einer Stadt, die auf eine 2.000-jährige, facettenreiche Geschichte zurückblickt, kann dies relativ wenig anhaben. Hier stehen Baudenkmäler zahlreicher Völker und Volksgruppen nebeneinander. Der Zauber und der Abglanz vieler untergegangener Reiche ist noch auf Schritt und Tritt zu spüren. Wen interessieren Neubauruinen, wenn es unterhalb der neoromanischen Basilika St. Peter frühchristliche Grabkammern (zum Unesco-Kulturerbe gekürt) zu besichtigen gibt? Wer vermisst etwas, wo doch nirgendwo sonst in Ungarn so gut erhaltene Baudenkmäler aus osmanischer Besatzungszeit (1541–1686) stehen? Die Spuren der Vergangenheit reichen von römischen Resten bis hin zu den Jugendstilfassaden der österreichisch-ungarischen Monarchie, daneben barocke Elemente.

"Türbes" , winzige Häuser von bulgarischen Gärtnern, stehen in den engen Gassen am Havi-Berg. Stadtbildprägend sind die auffallend farbenfrohen Dachziegel und Fassaden an vielen öffentlichen Gebäuden wie beispielsweise am prächtigen Postpalast. Wie Brunnen oder Gartenskulpturen stammen sie aus den Künstlerateliers der weltberühmten Zsolnay-Porzellanfabrik, die mit Pécs seit über 150 Jahren untrennbar verbunden ist. Wer durch die verwinkelten Gassen der Altstadt an den vielen Straßencafés vorbei schlendert, spürt auch jenseits der Bauzäune südliches Laissez-faire. Denn man kann den Verzögerungen auch eine positive Seite abgewinnen wie András Horváth, der Vorsitzende der Pécser Architektenkammer: "Lieber gründlich und dafür fehlerfrei", sagt er. Die Bewohner von Pécs sehen ihre Baustellen mit einer gewissen Gelassenheit und Unaufgeregtheit. Balkanische Nonchalance oder auch unglückliche Umstände?

Mitten in der heißen Phase hat Pécs zwei Stadtoberhäupter verloren. Der eine erlitt einen schweren Verkehrsunfall, der andere ist im vergangenen Jahr gestorben. Oberbürgermeister Zsolt Páva ist erst seit 2009 im Amt und denkt längerfristig: "Was jetzt entsteht, wird Jahrzehnte oder im Glücksfall Jahrhunderte lang den Pécser Bürgern zugutekommen." Die fünftgrößte Stadt Ungarns möchte sich als kulturelles Zentrum in Südosteuropa profilieren. Die Universitätsstadt hatte schon bisher das Image, bunt, jung und vital zu sein. Von 170.000 Einwohnern sind 30.000 Studenten, darunter etliche deutsche – das badenwürttembergische Fellbach ist Partnerstadt.

Das Zusammenleben ethnischer Minderheiten scheint zu funktionieren. In der früheren deutschen Stadt Fünfkirchen leben Bulgaren, Polen, Griechen, Ukrainer, Roma, Serben, Kroaten und Deutsche friedlich miteinander. Letztere, die Donauschwaben, haben sogar eigene Radiostationen. Voller Symbolgehalt das Kreuz über dem Halbmond auf der Kuppel der größten Moschee. Doch auch in diesem Schmelztiegel der Nationen tun sich Grenzen auf. Der Titel "Grenzenlose Stadt" hat wohl dennoch seine Berechtigung. Für Csaba Ruzsa, Direktor des Kulturhauptstadt-Projekts, ist Pécs nach wie vor der Ort, an dem die Kulturen einander begegnet sind und begegnen werden. Die "grenzenlose" Mannigfaltigkeit drückt sich in jeder Menge Festivals aus: Internationale Jugendkulturwoche im Juli, Internationales Volkstanztreffen im September und das Festival "Die Reise um den türkischen Halbmond" im Mai. An die 500 Veranstaltungen wollen in diesem Kulturhauptstadt-Jahr bewältigt werden. (Programm unter http://www.pecs2010.hu) Auch wenn nicht alles wie geplant fertig sein wird, die Kleinstadt an den Südhängen des Mecsek-Gebirges wird die Besucher mit ihrer mediterranen Atmosphäre und südlichen Vegetation verzaubern. Und lauschige Plätze lassen sich ganz sicher im nächsten Jahr wieder finden.

Kulturhauptstadt Pécs

Anreise
Auf dem Landweg per Eisenbahn oder über die Autobahn (kurz vor Ostern ist die Strecke Budapest–Pécs fertig geworden). Mit dem Flugzeug geht es nur bis Budapest (z. B. Lufthansa, Swiss-Air, Germanwings). Ab Budapest weiter mit Bus, Zug oder Taxi. Zwei bis zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt bis Pécs. Die Sammeltaxis von Budapest nach Pécs sind günstig. Ab 25 Euro pro Person für die einfache Fahrt. Diese Taxis können auch übers Reisebüro gebucht werden, http://www.travel4you.hu, http://www.mistral-minibus.hu

Allgemeines
Informationen zu Pécs gibt es auf der offiziellen Homepage der Stadt unter http://www.pecs.hu. Weitere Informationen zu Reisen nach Ungarn mit einer besonderen Würdigung der Kulturhauptstadt 2010 erteilen das Tourismusportal http://www.ungarn-tourismus.de sowie die Seiten http://www.pecs2010.hu und http://www.visitpecs.hu.

Veranstalter
Diverse Reiseveranstalter bieten Ungarn und Pécs an. Das Esslinger Reisebüro Schlienz organisiert Busreisen nach Pécs (zweimal die Woche), Kontakt über das Büro Rommelshausen, Telefon 07151/ 9493160, http://www.schlienz.info. Pauschalreisen für Gruppen ab 10 Personen über Reisebüro Pflüger, 07195/10300, http://www.pflueger-reisen.de.

Unterkunft
Hotel Pátria: Dreisternehotel in direkter Nachbarschaft zur Moschee des Paschas Jakowali Hassan. Hotel Palatinus: Das denkmalgeschützte, mit Zsolnay-Baukeramik verzierte, Jugendstilhotel steht mitten in der Fußgängerzone der Altstadt. Das Restaurant, das Foyer, die Rezeption und der Ballsaal sind die schönsten Jugendstilräume der Stadt. http://www.danubiushotels.com/de/unsere_hotels/ungarn/pecs

Preise
Cappuccino 1,30 Euro
Eine Coca-Cola 0,95 Euro
Ein Bier 1,30 Euro

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall erst in Ungarn Geld umtauschen, aber nicht am Flughafen. Der Kurs in den Wechselstuben von Pécs ist viel günstiger (etwa 25 Prozent).
Auf jeden Fall sollte man eine Spazierfahrt oder einen Spaziergang hinauf in den Stadtteil Tettye machen. Hier oben hat man einen faszinierenden Blick auf Pécs und Umgebung. Die nahe gelegenen Ruinen des ehemaligen Sommerschlosses von Bischof György Szatmáry und späteren Klosters des muslimischen Mönchsordens der Derwische dienten bereits als Theaterkulisse, werden aber im Moment ausgebaut. Im Restaurant Tettye Vendéglö wird traditionell ungarisch gekocht – vielleicht Wildsuppe mit Estragon oder Kalbsgulasch mit Quarkknödeln. Dort lassen sich auch gut die ausgezeichneten Rebensäfte der Winzer von der Villány-Sikloser Weinstraße genießen.
Auf keinen Fall die Badeklamotten vergessen. Wer gern warm badet, sollte einen Trip zum modernsten Kurbad Südwestungarns machen: Harkány liegt 25 Kilometer von Pécs entfernt.