Die Seniorin wurde in ihrem Auto eingeklemmt, die Rettungskräfte haben alle Hände voll zu tun. Foto: Thomas Poeppel

Schwerer Unfalls auf der A 97 bei Leutkirch: Eine 87-jährige Frau verwechselt die Fahrspur. Es ist schon der 50. Falschfahrerunfall in diesem Jahr im Land. Warum nimmt ihre Zahl so stark zu?

Leutkirch/Stuttgart - Die Zahl der Unfälle durch Falschfahrer auf Bundesstraßen und Autobahnen im Land nimmt zu. „Die Entwicklung ist nicht erfreulich“, sagte der Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums Renato Gigliotti. So seien im vergangenen Jahr 28 Unfälle von Falschfahrern verursacht worden. In diesem Jahr stünden bereits knapp 50 in der Statistik, sagte Gigliotti.

Der jüngste Fall ist dabei noch gar nicht mitgerechnet. Am frühen Donnerstagmorgen rammte eine 87-jährige Falschfahrerin auf der Autobahn 96 bei Leutkirch im Allgäu (Kreis Ravensburg) frontal einen Lieferwagen, der ihr auf dem linken Fahrstreifen entgegenkam. Ein 49 Jahre alter Autofahrer konnte laut der Polizei nicht mehr ausweichen und krachte in die Unfallstelle. Er und der 34 Jahre alte Transporterfahrer blieben unverletzt. Die Falschfahrerin wurde bei dem Zusammenstoß in ihrem Wagen eingeklemmt und musste von der Feuerwehr aus ihrem Auto befreit werden. Sie erlitt lebensgefährliche Verletzungen.

Innenministerium erwartet Verdoppelung

Im Innenministerium wird für dieses Jahr bereits eine Verdoppelung der Zahl von Falschfahrerunfällen befürchtet. Auch die Schwere der Unfälle nehme zu. So kamen 2015 bei neun Unfällen Menschen zu Schaden. In diesem Jahren waren bis zum 31. Oktober bereits bei 25 Falschfahrer-Unfällen Verletzte zu beklagen. Zudem gab es bereits ein Todesopfer. Ob sich diese Tendenz verfestigt, ist unklar. Ein Vergleich mit den Statistiken früherer Jahre sei wegen anderer Erfassungsmethoden nicht möglich, sagte Gigliotti.

Allerdings sieht auch der ADAC Anzeichen dafür, dass sich das Problem verschärft haben könnte. So habe sich die Zahl der Falschfahrermeldungen im Radio deutschlandweit zuletzt auf 3000 im Jahr erhöht. In einer Auswertung des Bundesamts für Straßenwesen (BAS) für die Jahre 2007 bis 2009 ist noch von jeweils 1800 Meldungen die Rede. In welchen Fällen es sich um Falsch- oder Doppelmeldungen handelte, ist unbekannt. Das BAS unterscheidet zwischen gesicherten (11,8 Prozent), sehr wahrscheinlichen (37,5 Prozent) und wahrscheinlichen (50,7 Prozent) Falschfahrten. Dementsprechend erklärt das BAS, dass jede 17. bis 40. registrierte Falschfahrt mit einem Unfall ende.

20 Kilometer auf der falschen Seite

Im aktuellen Fall war die 87-Jährige nach den Erkenntnissen der Polizei bereits bei Memmingen aus bisher ungeklärten Gründen in die falsche Richtung auf die Autobahn gefahren. Demnach wäre sie etwa 20 Kilometer auf der A 97 unterwegs gewesen. Tatsächlich ist auf einer Karte des BAS das Autobahnkreuz bei Memmingen als Häufungspunkt für den Beginn von Falschfahrten verzeichnet. Allerdings gilt das für viele Stellen im deutschen Autobahnnetz. Die Frage, ob eine unklare Beschilderung dafür verantwortlich ist, will das BAS nicht definitiv beantworten. Zwar seien bei Stichproben an nahezu allen Autobahnauffahrten Mängel festgestellt worden. Allerdings sei kein statistischer Zusammenhang zwischen Beschilderung und Falschfahrthäufigkeit festgestellt worden. Eher zeige sich, dass verkehrsschwache Abschnitte zu Falschfahrten verleiteten, berichtet das BAS.

In Baden-Württemberg hat der Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nach einem schweren Falschfahrerunfall auf der A 5 vor vier Jahren die Regierungspräsidien angewiesen, die Sicherheitseinrichtungen und Markierungen an den Auffahrten nachzubessern. Auch an allen Auffahrten zu vierspurigen Bundesstraßen ließ das Ministerium zusätzliche Richtungspfeile auf der Fahrbahn aufbringen. Das Programm sei erfolgreich gewesen. Ob die Maßnahmen allerdings gefruchtet hätten, sei schwer einzuschätzen und kaum mit Datenmaterial zu belegen, sagte der Sprecher des Verkehrsministeriums, Edgar Neumann. „Es gibt viele unterschiedliche Gründe für Falschfahrten.“

Manche wollen den Kick, andere sind betrunken

Das sieht der ADAC ähnlich. Bei jeder dritten Falschfahrt mit Unfallfolge handle es sich um einen versuchten Suizid, es gebe zudem Mutproben und betrunkene Autofahrer, sagte der Sprecher des ADAC Württemberg, Reimund Elbe. Solche Fahrer seien allenfalls durch Nagelplatten aufzuhalten, die die Reifen zerstechen, wenn man in falscher Richtung darüber fahre. Allerdings würden diese andere Gefahren bergen. Zudem beginne nicht jede Falschfahrt an der Autobahnauffahrt. Hierauf entfielen 30 Prozent. In 15 Prozent der Fälle hätten die Autofahrer auf der Fahrbahn gewendet. Allerdings bleibt die Statistik auch dabei unbefriedigend. Denn bei 40 Prozent aller Falschfahrten lägen schlicht keine Erkenntnisse vor, schreibt das BAS.

So steht die Polizei auch im Fall einer Falschfahrt vor anderthalb Wochen auf der A 5 noch immer vor einem Rätsel. Eine 42-jährige Frau soll mehr als 50 Kilometer weit in hohem Tempo über die Autobahn gerast sein. Erst bei Bruchsal konnte sie mit Mühe und nur durch quer stehende Sattelzüge gestoppt werden. Unter Alkoholeinfluss und Drogen stand die Frau nicht. Zu den Gründen ihrer gefährlichen Fahrt machte sie bisher keine Angaben.