Machen sich Hoffnung auf den Titel: Strohbären Foto: dpa

Kommt die Fasnet zum Zug? Und was ist mit den Volksfesten? Am nächsten Freitag entscheiden die Kultusminister, welcher Brauch sich Unesco-Kulturerbe nennen darf. Kleine Initiativen fürchten, dass sie gegen die Großen keine Chance haben.

Ebershardt - Kalt wird dem jungen Mann sicher nicht werden, wenn er sich am Nikolaustag in langes Roggenstroh einwickeln lässt. Unter zehn Kilo geht die Verwandlung zum „Kloas“ nämlich nicht ab. Steif und unbeholfen, aber gut gegen Wind geschützt, wird sich der Strohbär dann auf den Weg machen, um die Bewohner von Ebershardt im Schwarzwald vor bösen Geistern zu schützen.

 

Im Südwesten kennt man solche Figuren, die bis zu vier Meter hoch werden, noch in fast drei Dutzend Orten. Auch in Bayern, Niedersachsen und anderen Ländern stapfen sie durch die Straßen – und zwar nicht nur zu Fasnacht. Doch stets sind es nur kleine Grüppchen, die den Brauch am Leben erhalten, eine Sache für Liebhaber.

Werner Baiker ist einer von ihnen. Der Mann aus Sulz am Neckar widmet seine gesamte Freizeit der Strohvermummung: „Die Tradition steht auf der roten Liste, mir geht es darum, sie zu erhalten.“ Er war es auch, der den Brauch im vergangenen Jahr für die Liste des immateriellen Kulturerbes Deutschlands angemeldet hat. Dieses Verzeichnis ist gerade im Entstehen.

Mit Spannung blickt die Öffentlichkeit auf die Kultusministerkonferenz, die am 11. Dezember die Entscheidung darüber treffen will. Welche und wie viele der insgesamt 83 deutschen Kandidaten das Rennen machen, ist zwar noch völlig offen – lediglich zwei Dutzend Fachleute sind bisher im Bilde. Doch man weiß aus anderen Ländern, dass das Etikett nicht nur Anerkennung bringt, sondern auch einen gewaltigen Werbeeffekt – und der ist bekanntlich Gold wert.

Neben Strohbären hoffen Bäcker, Segelflieger und Sagenerzähler

Die deutschen Bäcker machen sich ebenso Hoffnungen wie die Oberammergauer Passionsspieler, die Segelflieger von der Wasserkuppe ebenso wie die Sagenerzähler aus Hameln, die schwäbisch-alemannischen Narren ebenso wie die Fassadenkünstler hessischer Fachwerkhäuser. Und natürlich die Strohbären aus Baden-Württemberg.

Doch angesichts der riesigen Konkurrenz wirkt Werner Baiker mutlos: „Wenn ich allein die große Kampagne des deutschen Schaustellerbundes sehe, wird mir ganz anders.“ Dessen Berliner Geschäftsstelle habe für die Bewerbung der Volksfestkultur sage und schreibe 43 Bundestagsabgeordnete vor den Karren gespannt – darunter zwei leibhaftige Ministerinnen: „Wie soll man dagegen ankommen?“

In der Tat lassen die Schausteller Volksvertreter aus allen denkbaren Kirmesregionen zu Wort kommen. Zu sehen in zwei professionell gemachten Videos auf Youtube. Darin singen die Politiker das Hohelied auf Riesenräder und gebrannte Mandeln. „Meine kleine Tochter, die Ella, die hab ich auch schon angesteckt, die durfte letztes Jahr mit und hat aufm Pferd gesessen, und da gab’s Zuckerwatte und einen Luftballon, und überhaupt. . .“, schwärmt Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) über den Lukasmarkt im Eifelstädtchen Mayen.

Volksfest-Lobby versteht den Neid nicht

Auch die Strohbären haben ein Video eingereicht – allerdings selbst gedreht und selbst finanziert. Baiker: „Da können wir nicht mithalten.“ Ein wenig neidisch hat er auch verfolgt, wie sich kürzlich die Spitze des Schaustellerverbands mit Walter Hirche traf, dem Präsidenten der deutschen Unesco-Kommission. Zufrieden blickten die Verbandsvertreter anschließend in die Kamera.

Die Volksfest-Lobby versteht den Neid nicht. Man pflege doch ebenfalls jahrhundertealtes Brauchtum, das tief in der Gesellschaft verwurzelt und außerdem ein Ort der Integration und Identifikation sei, sagt Lucinde Boennecke von der Berliner Hauptgeschäftsstelle. Außerdem: „Dem Cannstatter Wasen und der Münchner Wies’n geht’s vielleicht gut, aber viele kleine und mittlere Volksfeste sind in Gefahr.“

Deshalb halten es die Schausteller für zwingend, dass auch sie auf der nationalen Kulturerbe-Liste auftauchen, um so das öffentliche Bewusstsein für ihre Branche schärfen. Von einer Großkampagne könne nun wirklich keine Rede sein, sagt Boennecke und führt zwei Branchen ins Feld, die mit noch größerer Lobbyistenmacht bei der Unesco Stimmung machten: die Bäcker und die Brauer. Die hätten professionelle Agenturen unter Vertrag, mutmaßt die Schausteller-Sprecherin und fragt schließlich im selben Tonfall wie Baiker: „Wie soll man dagegen ankommen?“

Deutsches Reinheitsgebot im Volk hoch im Kurs

Selbstbewusst sind sie, die Bierbrauer. Sie werden für die Unesco-Kampagne ja auch von Bayern angeführt. Und hat das 500 Jahre alte deutsche Reinheitsgebot den Ritterschlag etwa nicht verdient? 79 Prozent der Deutschen finden das, verweist der Deutsche Brauer-Bund auf eine Infratest-Umfrage. Die nationale Liste ist da nur der Anfang. „Weltkulturerbe“ soll das Reinheitsgebot werden, meinen die Brauer.

„Würdigung und Ansporn zugleich“ wäre das Etikett, sagt ihr Präsident Hans-Georg Eils. Und vielleicht ja auch ein bisschen Gaumenkitzel für den seit Jahren schwächelnden Bierdurst der Deutschen. Aber das ist eine Unterstellung. Denn sicher weiß man auch beim Brauer-Bund, dass kommerzielle Interessen nicht im Vordergrund stehen dürfen.

Die Mitbewerber um das Unesco-Siegel sind da nicht so schamhaft. „In ihrem Ringen mit der Billig-Konkurrenz haben sich die Bäcker überlegt, wie sie ihr Produkt aufwerten können“, heißt es entwaffnend offen beim Branchenverband. Der will die „Brotvielfalt“ als Kulturerbe adeln lassen.

Kann sich deutsches Brot Chancen ausrechnen?

Dass sie ganz gute Karten haben, entnehmen die Bäcker einer Äußerung von Unesco-Sprecher Dieter Offenhäußer, der unlängst das deutsche Brot in den Himmel lobte und anmerkte, die gute Reputation sehe man ja schon daran, dass gute Bäckereien weltweit „German Bakerys“ hießen.

Wie soll man dagegen ankommen? Werner Baiker rutscht immer tiefer in den Sessel und sagt, er könne nur hoffen, dass die Unesco-Kommission sich ihre eigene Aussage zu Herzen nehme: „Sie hat insbesondere kleinere ehrenamtliche Gruppen ohne starke Lobby oder Verbandsstrukturen dazu aufgerufen, sich zu bewerben.“

So schlecht sind die Karten der Strohbären aber gar nicht. „Eine gute Werbestrategie ist kein Kriterium für die Aufnahme in die Liste“, sagt Benjamin Hanke, der Chef der Bonner Geschäftsstelle für das immaterielle Kulturerbe. Schließlich werde die Auswahl von Experten getroffen, nicht von Politikern.

Kein Baden-Württemberger unter den Fachleuten

Auch im Stuttgarter Kunstministerium, das die Bewerbungen auf Landesebene entgegen genommen und bewertet hat, vertraut man auf die Kompetenz der 23 Fachleute, die der Kultusministerkonferenz die Liste empfehlen. Darunter ist zwar kein Baden-Württemberger, aber das sei kein Nachteil, glaubt Jürgen Sauer, der das Thema im Ministerium bearbeitet.

Für viel wichtiger hält er, dass die beiden landesspezifischen Vorschläge für die Bundesliste – die schwäbisch-alemannische Fasnacht und das Peter-und-Paul-Fest in Bretten – zuvor bereits in Stuttgart von einer hochkarätigen Wissenschaftlerrunde bewertet und empfohlen wurden.

Die Strohbären erhielten als länderübergreifender Vorschlag ebenfalls ein positives Votum für Bonn. Außerdem die Tradition der Handwerksgesellen, die auf die „Walz“ gehen.

Doch Baiker hat erst einmal andere Sorgen. Aus Buschwiller im Elsass ereilte ihn am Mittwoch ein telefonischer Hilferuf: „Wir haben kein langhalmiges Stroh mehr.“ Damit der Brauch auch linksrheinisch weiterleben kann, wird er nun aus den eigenen Vorräten für Nachschub sorgen.