Fridays-for-future-Demonstration in Stuttgart. Foto: Leif Piechowski-fut

Nach Klimaschutz rufen vor allem diejenigen, die im Wohlstand leben. Dürfen sie deshalb auf die anderen herabschauen? StN-Autor Klaus Köster warnt vor Überheblichkeit gegenüber sozial Schwachen, die statt um das Wohl der Erde um ihr eigenes Überleben kämpfen müssen.

Stuttgart - Da sage noch einer, unter Bundeskanzlerin Angela Merkel fehle es an klaren Ansagen. Die EU werde „keine Klimaschutz-Beschlüsse fassen, die in Deutschland Arbeitsplätze oder Investitionen gefährden“, erklärte die Regierungschefin. Das war allerdings schon 2009. Seither hat sich vieles geändert. Vor wenigen Monaten gab Bundesumweltministerin Svenja Schulze bei der EU zu verstehen, dass sie beim Treibhausgas CO2 noch viel schärfere Vorschriften befürwortet als ihre eigene Regierung, deren Position in Brüssel folgerichtig durchfiel. Nun wird die Autoindustrie massiv Batterieautos auf den Markt bringen, deren ökologische Gesamtbilanz viele Fragen aufwirft. 150 000 Arbeitsplätze stehen nach Einschätzung der IG Metall auf dem Spiel.

Doch ist das Aufrechnen von Arbeitsplätzen gegen den Klimaschutz überhaupt zulässig? Spielt das Fehlen von Jobs noch eine Rolle auf dem Planeten, wenn dieser von Flut- und Dürrekatastrophen heimgesucht wird? Schafft der Stellenabbau gar erst die Voraussetzung, um das Wachstum zu bremsen und die Umwelt sauberer zu machen?

Soziale Kosten kaum berücksichtigt

Wer so denkt, sollte sich dringend einmal die Ergebnisse der Europawahl zu Gemüte führen. Diese belegen eindrucksvoll, dass der Klimaschutz den Menschen nur dann etwas bedeutet, wenn sie im Wohlstand leben. Nirgends schnitten die Grünen so gut ab wie im reichen Deutschland. Während sich junge Menschen in Deutschland große Sorgen um den Zustand der Welt machen, interessieren sich ihre Altersgenossen in Spanien und Griechenland vor allem für die Frage, ob sie angesichts der extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit jemals ein selbstbestimmtes Leben werden führen können.

Man kann natürlich auf Menschen herabschauen, denen ihr eigenes Leben wichtiger ist als das Überleben der Menschheit. Am leichtesten fällt dies denen, die solche Existenzprobleme nur vom Hörensagen kennen. Auch wegen dieses Hochmuts wird die Unterstützung für den Klimaschutz zunehmend zu einer sozialen Frage. Während die Grünen in wohlhabenden Universitätsstädten wie Freiburg und Konstanz an der 40-Prozent-Marke kratzen, schaffen sie es in Brandenburg und Sachsen mit Ach und Krach über zehn Prozent – und liegen um Längen hinter der AfD, die den Klimaschutz für einen „Irrweg“ hält und damit stärkste Partei wurde. Es wäre gefährlich, über diese gesellschaftliche Spaltung hinwegzugehen, die zur Realität in Deutschland ebenso gehört wie die wöchentlichen „fridays for future“-Demonstrationen für mehr Klimaschutz.

Der Bürger als ungezogenes Kind

Wer nun allen Ernstes postuliert, für das Erreichen des Menschheitsziels Klimaschutz dürfe auf die Jobs und somit auch auf Menschen keine Rücksicht genommen werden, kann sich angesichts dieser Erfahrungen seine Quittung gleich selbst ausstellen. Doch gerade im reichen Deutschland spielen die wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Energiewende bisher kaum eine Rolle, die trotz dreistelliger Milliardenkosten einen bisher kaum messbaren Beitrag zum Klimaschutz leistet. Messbar ist vor allem der Strompreis, der sich verdoppelt hat und am stärksten diejenigen belastet, über deren Wahlverhalten man nun die Nase rümpft.

Die Gelbwesten-Demonstrationen in Stuttgart haben gezeigt, dass die Bürger inzwischen verlangen, von der Obrigkeit nicht mehr wie ungezogene Kinder behandelt zu werden, die es zu belehren und zu bekehren gilt, sondern als mündige Bürger. Sie werden nicht mehr jeden Preis für eine Umweltpolitik bezahlen, die nur zu oft die Wertschätzung für all diejenigen vermissen lässt, ohne deren tägliche Arbeit der Einsatz für eine bessere Welt gar nicht denkbar wäre.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de