Bisher steht im gesamten Landkreis Böblingen nur ein Windrad bei Jettingen. Früher waren es zwei. Eines wurde abgebaut und verkauft. Foto: factum/Jürgen Bach

Die Rathausoberen in Herrenberg haben ein Konzept für eine ökologische Zukunft fast fertig. Das Ziel ist Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Nicht nur den Grünen dauert das zu lang. Sie legen ihr eigenes Konzept vor.

Herrenberg - Dass die Grünen nörgeln, mit dem Klimaschutz gehe es nicht schnell genug voran, gilt zumindest Heike Voelker als Plicht. „Die Leute erwarten, dass die Grünen liefern“, sagt sie, „deshalb haben sie uns gewählt“. Voelker sitzt für die Öko-Partei im Gemeinderat der Stadt Herrenberg. Dort verweigern sich weder die Konservativen dem Klimaschutz, noch die Rathausoberen bis hinauf zum Oberbürgermeister Thomas Sprißler, einem Freien Wähler. Ein entsprechendes Zukunftskonzept ist fast fertig, im Februar soll der Gemeinderat es beraten.

Das Ziel ist Klimaneutralität bis zum Jahr 2050, aber, wenig überraschend, halten die Grünen dies für zu spät. Voelker hat deswegen ein Gegenkonzept verfasst, allein. Es umfasst 40 Seiten. Wie lange sie daran gearbeitet hat, „wollen Sie gar nicht wissen“, sagt Voelker, „sehr lang“.

Mit ihrer Kritik sind die örtlichen Grünen zumindest parteiintern in bester Gesellschaft. Franz Untersteller, der Landesumweltminister mit grünem Parteibuch, hatte jüngst bei einer Fachtagung des Gemeindetags beklagt, dass die Kommunen das Thema nachrangig behandelten. „Klimaschutz ist keine lästige Pflicht“, sagte er und forderte, zügig Fotovoltaikanlagen und Windräder aufzubauen – einmal mehr.

Allerdings ist Klimaschutz für Kommunen keine Pflichtaufgabe. So steht es im Gesetz, genauso wie in Voelkers Konzept. Anscheinend wird die Dringlichkeit dennoch in vielen Rathäusern anerkannt. Vor einer Woche hatte die Landes-Umweltanstalt das Ergebnis einer Umfrage verbreitet. 250 Kommunen hatten sich beteiligt. Fast 240 von ihnen hatten wissen lassen, dass sie die Auswirkungen des Klimawandels bereits heute belasteten. 70 Prozent gaben an, sie hätten Gegenkonzepte zumindest in Arbeit.

Dazu zählt Herrenberg schon seit dem Jahr 2008, in dem die Stadt dem Klima-Bündnis beitrat. Damit ist die freiwillige Verpflichtung verbunden, den Kohlendioxid-Ausstoß alle fünf Jahre um zehn Prozent zu verringern. Dieses und andere Ziele des Bündnisses seien verfehlt worden, beklagt Voelker nicht allein: Die Sozialdemokraten fordern ebenfalls mehr Entschlossenheit und ein Gesamtkonzept. Die Freien Wähler formulierten eine Reihe von Zusatzwünschen für das Konzept der Rathausspitze. „Wir legen im Februar unseren Klimafahrplan vor, um voranzukommen“, sagt die Stadtsprecherin Anne Reichel, „danach wird es sicherlich eine spannende Debatte geben“.

Vorgesehen ist, den Bau von Holzhäusern zu forcieren oder auch, Fotovoltaikanlagen zur Pflicht zu erklären. Das Gesamtkonzept fußt auf einer Teilnahme am European Energy Award, einem Wettbewerb. Der Baubürgermeister Tobias Meigel verspricht sich davon insbesondere Hilfe bei der Datenauswertung.

Soll die Erderwärmung bei 1,5 Grad gestoppt werden, bleiben noch acht Jahre bis zur Klimaneutralität – weltweit. Dies gilt als wissenschaftlich gesichert. „Dass das unrealistisch ist, weiß ich selbst“, sagt Voelker, auch für eine Stadt von der überschaubaren Größe Herrenbergs. Voelkers Papier fußt auf Statistiken, ihre Vorschläge sind mit Berechnungen untermauert. Sie ist promovierte Geowissenschaftlerin. Weder enthält ihre Arbeit einen Zeitplan, noch eine Kalkulation der Kosten. „Es fehlt der Mut zu sagen, jetzt packen wir es an“, sagt sie, mit Betonung auf jetzt. In naher Zukunft soll das Gebiet rund ums Herrenberger Krankenhaus neu bebaut werden. „Dort gibt es schon ein Nahwärmenetz“, sagt Voelker. Es könnte – als erstes konkretes Projekt – bis an den Rand des Stadtzentrums erweitert werden.

Zu manchem ihrer Ziele formuliert Voelker selbst ein Aber. Die Landesregierung hat bis zu 27 Standorte für Windräder auf Herrenberger Markung identifiziert. „Ob die tatsächlich machbar sind, muss man erst mal prüfen“, sagt Voelker, „der Rote Milan lässt grüßen“. Der geschützte Raubvogel hat schon etliche Windkraftanlagen verhindert. Bisher steht im gesamten Landkreis nur ein Windrad bei Jettingen, früher waren es zwei. Eines wurde abgebaut und verkauft. Die Kosten für ihre Vorschläge sind der Verfasserin zweitrangig. „Strafzahlungen an die EU und die Folgekosten für den Klimawandel ergeben auch ein nettes Sümmchen“, sagt sie. Unter dem Strich sei Untätigkeit zumindest nicht billiger.