Hat Norwegen tatsächlich kein Platz mehr für hungrige Rentiere aus Schweden? Foto: dpa

Dem rechtsnationalen norwegischen Landwirtschaftsminister Jon Georg Dale kommen zu viele schwedische Rentiere zum Grasen ins Land. Nun droht er mit Konsequenzen.

Oslo/Stockholm - Wie uns Menschen zieht es auch die schwedischen Rentiere auf die andere Seite, dorthin, wo das Gras grüner und saftiger scheint. Das war bisher kein Problem. Schon lange bevor sich die blonden Skandinavier in Nordeuropa niederließen, Königreiche und Grenzen erschufen, lebte dort das Volk der Sami. Die Urbevölkerung betreibt bis heute Rentierzucht in den norwegischen und schwedischen Teilen Lapplands. Im Frühjahr treiben die schwedischen Sami ihre Rentiere gen Norden an Norwegens Küsten, weil es dort besseres Futter gibt. Im Winter treiben die Hirten ihre satten Tiere dann zurück nach Schweden. Bei der Grenzziehung zwischen den beiden Ländern 1751 wurde dafür der Lappland-Kodex verabschiedet. Er sollte den Sami weiterhin die grenzüberschreitende Rentierzucht ermöglichen.

Doch mit der Großzügigkeit könnte es nun vorbei sein. Alle 30 Jahre wird das Abkommen neu verhandelt. 2009 wurde wieder ein neuer Vertrag unterzeichnet. Stockholm informierte Oslo in diesem Sommer aber, dass man ihn nicht ratifizieren werde. „Die schwedische Regierung müsste dann Ausgleichszahlungen leisten, das ist Stockholm aber zu teuer, deshalb weigern sie sich“, sagt Per-Olof Nutti, Vorsitzender des schwedischen Minderheitenparlamentes der Sami – Sameting genannt – und selbst Rentierzüchter.

Norwegens rechtsnationalistischer Landwirtschaftsminister Jon Georg Dale von der einwanderungskritischen Fortschrittspartei (FRP) will das nicht akzeptieren. Nun droht er seinem Stockholmer Amtskollegen Sven-Erik Bucht mit einer Obergrenze für schwedische Rentiere, sollte der den Vertrag nicht verabschieden. Wie genau Dale das durchsetzen möchte, etwa mit Grenzkontrollen oder der Rückführung oder Zwangsschlachtungen bereits eingereister Tiere, hat er noch nicht verraten. Doch die schwedischen Samen geben sich zuversichtlich. „Wir machen weiter wie schon seit Hunderten von Jahren. Das ist unser Recht. Die offene Grenze zu schließen, das ist auch rein praktisch völlig unmöglich für die Norweger“, sagt Nutti.

Immer weniger Platz für immer größere Herden

Tatsächlich tummeln sich in der warmen Jahreszeit einfach zu viele Rentiere in Nordnorwegen, weil die Herden der Samen beider Länder zu groß geworden sind und gleichzeitig immer mehr einst frei zugängliches Weideland anderweitig genutzt wird – etwa für Windparks. Es geht vor allem um die Weidegebiete in den norwegischen Regionen Troms und Finnmark. Alleine die norwegischen Rentiere futtern dort so viel, dass das Gras langsam knapp werde, heißt es aus Oslo und von den norwegischen Rentierzüchtern. Das ökologische Gleichgewicht sei aus der Balance, warnen auch unabhängige Experten.

Schon mehrere norwegische Landwirtschaftsminister haben versucht, die eigenen Rentierzüchter zur Verkleinerung ihrer Herden zu bringen. Ein junger Rentierzüchter und Same erhielt jüngst einen amtlichen Bescheid, in dem ihm die Schlachtung von 41 seiner 116 Rentiere angeordnet wurde. Doch er klagte vor Gericht und bekam recht. Bislang kann Norwegen nur die Größe der eigenen Rentierpopulation beeinflussen, nicht aber die, die aus Schweden kommen. Die dürfen sogar dort grasen, wo es norwegischen Rentieren verboten ist, beklagen norwegische Züchter.

Schwedens rot-grüne Regierung stellt sich stur. „Wir wollen den Vertrag nachverhandeln. So wie er jetzt ist, wäre er zu unvorteilhaft für Schweden“, sagt Annika Andersson Ribbing, Mitarbeiterin im schwedischen Landwirtschaftsministerium. Auch der schwedische Sameting sei mehrheitlich dagegen, betont sie: „So lange gilt weiterhin das alte Recht von 1751.“ Eine Obergrenze anzudrohen sei wohl vor allem als ein Art „Druckmittel“ anzusehen.