Auf dem Parkplatz eines früheren Hotels in Winterbach spielen jetzt Flüchtlingskinder. Seit Ende November ist das Hotel geschlossen, im Januar sind Asylsuchende eingezogen Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

Diskutieren Sie mit - Die Stadt Stuttgart und die Landkreise in der Region brauchen Platz für Flüchtlinge. Immer häufiger werden Hotels und Pensionen genutzt. Nicht alle davon standen vorher leer. Das führt zu Kritik.

Stuttgart - Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert im Industriegebiet in Winterbach (Rems-Murr-Kreis). Das imposante Gebäude direkt an der B 29 wirkt wie immer. Allerdings sieht man nur noch von der Seite einen „Hotel“-Schriftzug. Auf dem Parkplatz spielen Kinder. Und wo einst die Speisekarte im Schaukasten hing, herrscht nun gähnende Leere. Wer sich das Haus von außen anschaut, wird vom Sicherheitsdienst angesprochen.

Das ehemalige Best-Western-Hotel hat seit Ende November geschlossen. Stattdessen sind dort inzwischen 235 Flüchtlinge untergebracht, vorwiegend Familien. „Die kleinen Wohneinheiten sind aus unserer Sicht sehr gut geeignet“, sagt Martina Nicklaus, Sprecherin des Rems-Murr-Kreises. Der Kreis hat das ehemalige Hotel für fünf Jahre von der Arcadia GmbH gepachtet.

Das Haus ist dabei beileibe nicht das einzige. Auch in Stuttgart-Wangen bevölkern nun Asylsuchende ein ehemaliges Hotel. Dort können vereinzelt auch noch reguläre Gäste unterkommen. Diese Mischung ist allerdings ungewöhnlich. Normalerweise kaufen die Stadt- und Landkreise die Gebäude oder mieten sie komplett an. In der Region sind es mittlerweile 26 ehemalige Hotels oder Pensionen, in denen mehrere Tausend Flüchtlinge untergebracht sind. Manche der Häuser waren vorher schon geschlossen, andere haben eigens den Hotelbetrieb eingestellt, um künftig als Flüchtlingsunterkunft dienen zu können.

Über die Mietpreise wird wild spekuliert

Über die Konditionen herrscht Stillschweigen. Immer wieder kommen Gerüchte auf, dass sich die ehemaligen Betreiber mit der neuen Nutzung eine goldene Nase verdienten. Denn sie brauchen kein Personal mehr und haben ihre Räume für Jahre vermietet. Experten sprechen von 20 bis 30 Euro pro Tag und Flüchtling, die stellenweise verlangt und bezahlt werden. Hochgerechnet kann das bei Häusern, die vorher nicht gut liefen, ein gutes Geschäft ergeben.

In Stuttgart dienen mittlerweile sechs frühere Hotels oder Pensionen als Flüchtlingsunterkünfte. Fast 500 Menschen leben dort. „Darunter haben wir nur eine Unterkunft, bei der wir nach Tagessätzen abrechnen“, sagt Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Deren Höhe sei „in Ordnung“. Die anderen Häuser seien pauschal angemietet. Der Landkreis Böblingen hat mehrere ehemalige Hotels gekauft und diverse weitere im Gesamtpaket gemietet. Dabei gibt es durchaus auch unmoralische Angebote. „Ohne Zahlen nennen zu können, ist es durchaus so, dass teilweise versucht wird, gutes Geld zu machen. Wir zahlen aber auch nicht jeden Preis“, sagt Sprecher Dusan Minic.

Kritik kommt auch immer wieder von Mitarbeitern, die auf der Straße landen, wenn ein Hotel umfunktioniert wird. Denn den größten Teil des Personals braucht man dann nicht mehr. In Winterbach etwa haben 20 Leute ihre Arbeit verloren. Die meisten sind inzwischen anderswo untergekommen. „Von schnellem Geld kann keine Rede sein“, sagt eine Arcadia-Sprecherin zu den Gerüchten über das Geschäft mit dem Landkreis. Sie verweist auf eine schriftliche Erklärung, die man abgegeben habe. Aus der geht hervor, dass das Hotel sich schwergetan habe. Zudem sei ein wichtiger Investor für einen nötigen Umbau ausgefallen. Ohne die Alternative mit den Flüchtlingen hätte man eine Schließung erwägen müssen.

Dehoga: Vorwiegend schon zuvor geschlossene Häuser

In dieselbe Kerbe schlägt auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). „Für manche Häuser ist eine solche Umnutzung eine Möglichkeit, über die man nachdenken muss. Wir kennen aber keinen Fall, in dem ein Hotel, das im vollen Betrieb steht, deshalb Knall auf Fall geschlossen wird“, sagt der Dehoga-Landessprecher Daniel Ohl. Meist handle es sich um Häuser, die vorher leer standen, schlecht gelaufen seien oder deren Betreiber keinen Nachfolger gefunden haben. „Dann ist diese Entscheidung Teil einer nüchternen Abwägung und nicht unlauter.“ Auf andere Weise Geld mit solchen Häusern zu verdienen sei nicht unmoralisch: „Solche Leute sind derzeit eher Teil der Lösung als ein Problem.“

Das sieht man bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ein Stück weit anders. „Bei allem Verständnis, dass die Politik unter großem Unterbringungsdruck steht, muss man im Einzelfall schon genau schauen, ob eine Umwandlung sinnvoll ist oder dort jemand Profit aus der Not des Staates schlagen will“, sagt deren Hotel-Experte Guido Zeitler. Er berichtet von Beispielen in anderen Teilen Deutschlands, in denen plötzlich Sanierungspläne verworfen worden seien, um Flüchtlinge unterzubringen. Oder von Hotels in Berliner Bestlage, in denen plötzlich Asylsuchende unterkommen anstatt eines neuen Hotelkonzepts. „Da generieren manche schon Einnahmen, die mit einem Hotelbetrieb nicht zu erwirtschaften wären, anstatt notwendige Investitionen zu tätigen. Das Geld nimmt man mit und überlegt dann später, was man mit der Immobilie macht.“

Auf der Strecke blieben dabei die Mitarbeiter, selbst wenn die Branche Leute suche: „Wer über 50 und schon lange im selben Betrieb tätig ist, findet auch nicht ohne weiteres etwas Neues“, sagt Zeitler. Und er fürchtet, dass die Entwicklung noch eine „brandgefährliche politische Diskussion“ mit sich bringen könnte: „Es passiert reflexartig, dass die Leute für die Schließungen die Flüchtlinge verantwortlich machen, obwohl die gar nichts dafür können.“

26 Hotels und Pensionen umgenutzt

In Stuttgart nutzt das Sozialamt derzeit sechs frühere Hotels und Pensionen als Quartiere für Asylsuchende. Sie liegen vorwiegend in der Innenstadt, im Westen und entlang des Neckars. Das größte beherbergt 150, das kleinste nur 21 Menschen. Alle Unterkünfte sind angemietet.

Der Landkreis Ludwigsburg hat vier ehemalige Hotels und Pensionen als Gemeinschaftsunterkünfte angemietet. Dort stehen 117 Plätze zur Verfügung. „Die Miethöhe bewegt sich im gleichen Rahmen wie bei den übrigen Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises“, sagt dessen Sprecher Andreas Fritz.

Der Landkreis Böblingen hat vier ehemalige Hotels gekauft und vier weitere angemietet. Bei den Mietobjekten wird nach Quadratmetern bezahlt, mit Pro-Kopf-Beträgen arbeitet das Landratsamt nicht.

Im Rems-Murr-Kreis dienen zwei ehemalige Hotels und zwei ehemalige Gaststätten als Flüchtlingsunterkünfte. 439 der aktuell über 4000 Asylsuchenden im Kreis leben dort.

Der Landkreis Esslingen hat keine Zimmer oder ganze Hotels angemietet. Allerdings hat das Landratsamt zwei ehemalige Hotels gebaut und selbst für die Flüchtlingsunterbringung umgebaut.

In einem ehemaligen Hotel bringt der Landkreis Göppingen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter. Auch ein früherer Gasthof ist angemietet.