Regierungstreue Truppen besetzen strategisch wichtige Punkte in der Türkei. Foto: dpa

Die explosive Stimmung in der Türkei mündet in einen versuchten Militärputsch. Erdogan erklärt, die Regierung und er hätten die Lage unter Kontrolle.

Ankara - In der Türkei ist ein Militärputsch nach Angaben von Präsident Recep Tayyip Erdogan gescheitert. Er betonte am Samstag in Istanbul, dass er in dem Nato-Land weiter das Sagen habe. Der neu ernannte kommissarische Generalstabschef Ümit Dündar sagte, bei dem versuchten Staatsstreich seien 194 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 1150 sollen verletzt worden sein. Nach Angaben eines hochrangigen türkischen Regierungsvertreters wurden 1563 Mitglieder der Armee im ganzen Land festgenommen.

Bei den meisten handele es sich um niedrigere Dienstgrade, teilte der Regierungsvertreter mit. Erdogan betonte, dass die Regierung die Lage unter Kontrolle habe. Er kündigte ein hartes Vorgehen gegen die Putschisten an. Sie würden einen „hohen Preis für ihren Hochverrat“ zahlen“. Zunächst hatten die Putschisten die Macht im ganzen Land für sich reklamiert. Noch am Morgen wurden Kämpfe gemeldet, in Ankara und Istanbul gab es Explosionen.

Dündar sagte, bei den Kämpfen seien 41 Polizisten, zwei Soldaten, 47 Zivilisten und 104 Verschwörer ums Leben gekommen. Es seien vor allem Offiziere der Luftwaffe, der Militärpolizei und der Panzerverbände am Putschversuch beteiligt gewesen.

TV-Bilder zeigten dramatische Szenen

Die Lage blieb aber unübersichtlich: Bis zum frühen Samstagmorgen war noch unklar, welche Seite das Militärhauptquartier in Ankara kontrolliert. Erdogan selbst hielt sich im Morgengrauen noch am Istanbuler Flughafen auf. Ministerpräsident Binali Yildirim berief die Parlamentarier zu einer Dringlichkeitssitzung noch am Samstag ein.

Am Freitagabend hatte das Drama begonnen: Kampfflugzeuge flogen über Ankara. Dann blockierten Militärfahrzeuge Brücken in Istanbul. TV-Bilder zeigten dramatische Szenen: Panzer fuhren auf den Straßen, Soldaten feuerten in die Luft und stellten sich Demonstranten entgegen, Autos brannten. In Istanbul kam es am Taksim-Platz zu einem Feuergefecht zwischen Polizei und Soldaten, Medien meldeten darüber hinaus Schüsse auf demonstrierende Putschgegner an der Bosporus-Brücke. Im Gebäudekomplex des Parlaments in Ankara explodierte eine Bombe, die mehrere Polizisten verletzte. Zwei Bomben seien auch in der Nähe des Präsidentenpalasts in die Luft gegangen, dabei seien fünf Menschen ums Leben gekommen, hieß es.

An der Zentrale der Militärpolizei in Ankara wurden 16 Putschisten getötet, sagte Polizeichef Celalettin Lekesiz laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Bei einem Militäreinsatz wurde später der von Putschisten als Geisel genommene Generalstabschef Hulusi Akar befreit, wie Anadolu meldete.

Erdogan zeigte sich am Istanbuler Atatürk-Flughafen bei seinem ersten Auftritt nach Beginn des Putschversuchs kampflustig. Präsident und Regierung, beide vom Volk an die Macht gebracht, hätten die Kontrolle, erklärte er. Er warf Anhängern des in den USA lebenden Geistlichen Fethullah Gülen vor, für den Putsch verantwortlich zu sein. Gülen wies die Vorwürfe jedoch umgehend zurück.

Regierungen alarmiert von den Ereignissen

Deutschland, die USA, Russland, die Europäische Union und die Nato zeigten sich alarmiert über die jüngsten Ereignisse bei dem wichtigen Bündnispartner und mahnten zum Respekt für die Demokratie dort. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, alle Verantwortlichen müssten sich an die demokratischen und rechtsstaatlichen Spielregeln halten und dafür sorgen, dass weiteres Blutvergießen verhindert werde.

In der Türkei hatte das Militär bereits in den Jahren 1960, 1971 und 1980 geputscht. Dennoch entwickelte sich das Land später zu einer stabilen Demokratie und zum engen Partner von EU und Nato. Zuletzt häuften sich jedoch Terroranschläge, der Kurdenkonflikt im Südosten des Landes brach wieder auf und die Folgen des Bürgerkriegs in Syrien holten die Türkei ein, die mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Präsident Erdogan wurde ein zunehmend autokratischer Stil vorgehalten.

Darauf schien sich auch Erklärung der Umstürzler zu beziehen, die die Nachrichtenagentur Dogan verbreitete. Das Militär wolle „die verfassungsmäßige Ordnung, Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten wiederherstellen“, hieß es darin. Im Land sollten wieder Rechtsstaatlichkeit und Ordnung gelten.