Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat mit seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit die Diskussion um den Heimatbegriff wieder belebt. Foto: dpa

Der Begriff Heimat scheint das neue Zauberwort in der politischen und gesellschaftlichen Debatte zu sein. Doch was soll das überhaupt sein: Heimat?

Berlin - Der Bundespräsident tut es, die Grünen-Chefin tut es, die CSU ohnehin und die AfD ohne Unterlass. Alle reden jetzt von Heimat. Ganz so, als sei der Begriff ein neues Zauberwort, das alles gut werden lässt, wenn es nur im richtigen Sinne ausgesprochen wird. Aber was ist der richtige Sinn. Hat es überhaupt einen Sinn?

Ganz selbstverständlich ist Heimat dem, der sie hat. Deshalb schweigt er. Wer von ihr redet, gibt eine Verlustanzeige auf. Etwas ist verloren gegangen, und das schmerzt. Vielleicht sind es Phantomschmerzen, denn bei Lichte besehen hat das, wonach all das Sehnen zielt, vielleicht nie bestanden. Wer einmal nach Jahren in die Orte der Kindheit zurückkehrt und nichts sieht als Veränderung und Bruch, der erkennt, dass viel von der behaglichen Heimeligkeit retrospektiver Tagträume nur reparierender Nachbau einer nie da gewesenen Wirklichkeit war. Aber auch falsche Träume können schön sein und Kraft entwickeln. Politische Sprengkraft unter anderem.

Dies kann man sich zunutze machen. Die AfD hat einen Wahlkampf mit dem Slogan bestritten: „Dein Land. Deine Heimat. Hol sie dir zurück.“ Man kann nicht sagen, dass er erfolglos war. Offenbar hat er eine Stimmung, ein Gefühl getroffen. Die anderen Parteien hat das mächtig durchgeschüttelt. Die Heimat nicht den Rechten überlassen – das ist das Leitmotiv.

Heimat – oder doch lieber Solidarität?

Aber wie geht das? Wie macht man Heimat konsenstauglich? „Wir lieben dieses Land, das ist unsere Heimat, und diese Heimat spaltet man nicht“, hat Katrin Göring-Eckardt auf dem grünen Bundesparteitag gesagt. Und obwohl der Satz bis an die Grenze zur Phrase allgemein ist, stieß er auf erbitterten Widerstand. Heimat sei ein ausgrenzender Begriff, giftete die grüne Parteijugend. Man solle lieber von Solidarität sprechen. Das zeigt, dass wer von Heimat spricht einigermaßen wissen sollte, was er meint. Der grüne Umweltminister in Kiel, Robert Habeck, drückt das so aus: „Politik muss eine Idee formulieren. Eine Heimatidee. Eine Identitätsidee.“

Die AfD hat da keine Probleme. Sie füllt den Begriff mit einer völkisch aufgeladenen Abgrenzung gegenüber Fremden. Trifft sie damit tatsächlich eine Stimmung? Das Wahlergebnis legt das nahe. Doch es gibt eine repräsentative Infratest-Umfrage vom Oktober 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Gefragt wurde nach der Definition von Heimat. 89 Prozent der Befragten sagten, der Begriff erwecke bei ihnen ein positives Gefühl. Am stärksten verbunden werden mit ihm „Menschen, die ich liebe“ (92 Prozent) und „mein Zuhause, da, wo ich lebe“ (88 Prozent). Geborgenheit und Sicherheit verbinden 86 Prozent mit Heimat. Die Abgrenzung zu Fremden kommt da nicht vor. Befragt, ob die damalige Zuwanderung die Bedeutung von Heimat verändere, antworteten 76 Prozent mit „nicht viel“.

Wer dem Heimat-Slogan verfällt, ist noch kein Nationalist

Das gibt einen wichtigen Hinweis. Heimat steht für Überschaubarkeit und Verstehbarkeit, einen Platz, wo man sich nicht erst zurechtfinden muss. Heimat ist auch ein Schrei nach Ruhe. Die Gegenwart sieht anders aus. Umwelten ändern sich. Im Osten ist ein ganzes Land weggebrochen und damit Arbeitsweisen, Familienstrukturen, Verhaltensnormen. Die digitale Dampfwalze macht die Welt unverständlich für den, der sich nicht rasch anpasst. Investitionsentscheidungen in Peking beeinflussen Arbeitsprozesse im Vogtland. In der Stadt planen Hipster mit Laptops ihre Start-ups – im Dorf schließt die letzte Arztpraxis.

Für die Politik steckt in der Diskussion eine leidlich gute Nachricht. Wer dem Heimat-Slogan verfällt, ist nicht unbedingt Nationalist. Er bleibt für gute Politik erreichbar. Interessant ist, wie die Parteien darauf reagieren.

In der Union gewinnt gerade eine sehr pragmatische Sicht an Boden. Unionsfraktionschef Volker Kauder will die Förderung ländlicher Räume zum Thema der Koalitionsverhandlungen machen: „Gerade in den ländlichen Gebieten – auch im Westen – herrscht verbreitet das Gefühl, mehr und mehr abgehängt zu werden. Wenn erst die Schule schließt, dann Postamt und Sparkassen, haben die Menschen den Eindruck, dass sich niemand um sie kümmert.“ Die Chefs der Unionsfraktionen in den Ländern plädieren für ein Bundes-Heimatministerium. Dessen Aufgabe wäre es, „gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gewährleisten“. In Bayern gibt es das schon. Die CDU-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat bereits nachgezogen.

Steinmeier sieht Heimat als etwas, das in die Zukunft weist

Das linke Spektrum hat einen anderen Heimatbegriff – oder sucht danach. Heimat an Boden und Scholle zu knüpfen ist dort verdächtig, weil man darin Anklänge an die Naziideologie erkennt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede am Tag der Deutschen Einheit ein anderes Modell gezeichnet. Die Sehnsucht nach Heimat dürfe man nicht denen überlassen, „die Heimat konstruieren als ein Wir gegen Die, als Blödsinn von Blut und Boden, die eine deutsche Vergangenheit beschwören, die es so nie gegeben hat“.

Steinmeier sieht den Heimatbegriff, durchaus in einer langen Tradition linken Denkens verhaftet, etwas, das in die Zukunft weist. „Heimat“, sagt er, „ist der Ort, den wir als Gesellschaft erst schaffen.“ Ein Ort des Verstehens und des Miteinanders. Der Reiz daran: Diese Heimat ist offen für Neuankommende. Sie will errungen werden. Sie ist kein fester Ort, sondern ein künftiger Zustand.

Eigentlich ist sie also Utopie. Ernst Bloch wirkt da heimlich, aber mächtig nach. Am Ende seines Werks „Prinzip Hoffnung“ bringt er es auf die berühmte Formel: „Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“