Das Haus, in dem auch Ursula Kienzle wohnt, ist komplett umnetzt und eingerüstet. Foto: Jürgen Bock

Der Immobilienriese Vonovia steht in der Kritik wegen hoher Mieten und umstrittener Modernisierungsarbeiten. Jetzt zeigt sich an einem Haus in der Friedhofstraße, was die umfangreichen Umbauten in der Praxis bedeuten.

Stuttgart - Ursula Kienzle steht auf ihrem kleinen Balkon. Aber nur, um dem Besucher die Situation zu zeigen. Ansonsten meidet sie ihren Sitzplatz im Freien. Denn dort kommt sie sich vor wie hinter Gittern. Ein Netz hängt davor, ein Gerüst ist aufgebaut. Alle paar Minuten fahren Arbeiter in einem Baustellenaufzug vorbei. Irgendwo dröhnt ein Presslufthammer, der Lärm ist ohrenbetäubend. Staub liegt in der Luft. „Das soll jetzt ein Jahr lang so gehen“, sagt die Rentnerin kopfschüttelnd.

Ursula Kienzle wohnt in einem der Hochhäuser im Nordbahnhofviertel, die der Vonovia gehören. Deutschlands größtes Immobilienunternehmen steht bundesweit in der Kritik, weil aus recht günstigen Wohnungen nach Modernisierungen überall teure werden. Viele Bewohner können sich ihre vier Wände danach nicht mehr leisten. In Stuttgart gehören Vonovia über 4600 Wohnungen, mehrere Hundert davon stehen allein in diesem Jahr zur Modernisierung an. Auch das Hochhaus in der Friedhofstraße, wo sich bereits seit Monaten Widerstand formiert.

Inzwischen hat das Unternehmen einige kleinere Zugeständnisse gemacht. So soll die Miete bei Härtefällen, von denen es allein in diesem einen Hochhaus mit 81 Parteien mindestens 20 gibt, nicht so sehr steigen wie zunächst angekündigt. Ursula Kienzle bezahlt heute für 53 Quadratmeter eine Kaltmiete von 417 Euro. Nach der Modernisierung sollten es 653 sein. Jetzt ist eine Erhöhung um noch 160 Euro im Gespräch.

Wegen Absturzgefahr geschlossene Türen

„Für mich ist das immer noch zuviel. So schnell steigt meine Rente nicht“, sagt die Frau, die viele der Baumaßnahmen für unnötig hält. So werden die Fenster ausgetauscht. „Ich habe vor 17 Jahren neue Kunststofffenster bekommen. Die sind noch gut“, sagt sie. Auch dass Geländer und Bodenbeläge der Balkone komplett herausgerissen und ersetzt werden, kann sie nicht nachvollziehen. „Das alles hier wird nur gemacht, damit man nachher mehr Geld verlangen kann“, vermutet die Rentnerin.

Wie das aussieht, lässt sich ein paar Stockwerke weiter oben besichtigen. Die Aufzüge sind mit Sperrholzplatten ausgekleidet, an der Wand hängt eine Liste mit Montageterminen. Das Treppenhaus gleicht einem Warenlager. Die Mieterin einer Wohnung, die bereits modernisiert worden ist, zeigt Fotos von den Arbeiten. Die Räume waren in dieser Zeit eigentlich unbewohnbar. Noch jetzt hängt an ihrer neuen Balkontür ein Zettel. Der verbietet das Öffnen der Tür – wegen „Absturzgefahr“. An vielen Stellen des Hauses sieht es nicht viel anders aus. Der Eingang an der Straße ist komplett eingehaust, die Türen stehen offen. Ein Gerüst samt Netz zieht sich um das komplette Gebäude. Eine Großbaustelle. Und das voraussichtlich für ein Jahr.

„Hier wohnen ältere Menschen mit gesundheitlichen Problemen und Leute, die nachts arbeiten“, erzählt eine Mieterin. „Das geht so doch nicht.“ Auch die Mieterinitiative, die sich gegründet hat, übt scharfe Kritik. „Ich kenne allein sechs Härtefälle wegen der Bauarbeiten“, sagt Sprecherin Ursel Beck. In dem Hochhaus lebten zum Beispiel drei Lokführer, die im Schichtdienst arbeiten und tagsüber schlafen müssen. „In diesen Fällen müsste die Vonovia eigentlich eine Ersatzwohnung anbieten oder eine Hotelunterbringung bezahlen. Das tut sie aber nicht“, so Beck. Stattdessen gebe es nur nichtssagende Antwortbriefe und ansonsten Untätigkeit. Falls ein Lokführer dann im Dienst einen Fehler mache, werde ja er bestraft und nicht Vonovia.

Vonovia bedauert die Umstände

Aus der Bochumer Vonovia-Zentrale kommt Verständnis. „Die Umstände, die die Modernisierung für unsere Mieter bedeuten, bedauern wir sehr. Wir verstehen, dass unseren Mieter dadurch einiges zugemutet wird und tun alles, das so angenehm wie möglich zu gestalten“, sagt ein Unternehmenssprecher. Die Arbeiter bemühten sich, Lärm und Schmutz gering zu halten. „Leider ist das auf einer Baustelle natürlich nur eingeschränkt möglich.“

Der Sprecher betont, die Mieter könnten bei Problemen jederzeit auf Vonovia zukommen. Mitarbeiter seien jederzeit telefonisch erreichbar. Außerdem habe man eine zusätzliche Kundensprechstunde eingerichtet, die alle zwei Wochen abgehalten werde. Sie werde gut angenommen: „Gerade ältere Menschen kommen, um ihre Anliegen dort zu schildern und nach dem Bauablauf zu fragen.“ Auch mit den Härtefällen bei der Miete sei man im Gespräch.

Ursula Kienzle muss sich derweil weiter Gedanken um ihren Balkon machen. Sie ist angewiesen, ihn zu räumen. Wer das tut und wo die Sachen eingelagert werden können? „Das weiß ich nicht“, sagt sie.