In der neuesten Version der App können Eltern ihre Kinder zwar anrufen, aber nicht mehr orten. Foto: dpa

Die Schutzranzen-App soll den Schulweg von Kindern sicherer machen, doch die Stadt Ludwigsburg musste schon vor dem Start viele Prügel von Datenschützern einstecken. Umgesetzt wird das Projekt trotzdem – in leicht abgespeckter Form.

Ludwigsburg - Kritik, Anfeindungen, Beleidigungen – selten hat ein Projekt aus Ludwigsburg bundesweit ein derart lautes Echo hervorgerufen. Seit Ende Januar bekannt wurde, dass die Stadt mit den Machern der sogenannten Schutzranzen-App kooperiert, sieht sich das Rathaus mit teils drastischen Anschuldigungen konfrontiert. In Briefen musste die Verwaltung sich vorwerfen lassen, sie fördere Nazitechnik, öffne dem Überwachungsstaat Tür und Tor, mache Kinder zum Objekt eines Experiments. Persönlich und verletzend seien manche Schreiben gewesen, berichtet Heinz Handtrack vom Referat für Nachhaltige Stadtentwicklung. Auch auf anderen Kanälen wurde Protest laut, zwar weniger infam, aber nicht minder hart. Datenschützer landauf und landab warnten vor der Totalüberwachung.

Das alles nur, weil Walter Hildebrandt die Welt ein wenig sicherer machen will. So jedenfalls sieht das Walter Hildebrandt. Der Chef des niedersächsischen Unternehmens Coodriver hat Ludwigsburg als Testfeld auserkoren für seine Schutzranzen-App, die Kinder im Straßenverkehr vor Unfällen bewahren soll. Das Prinzip: Ein GPS-Sender im Schulranzen erfasst die Position des Kindes. Nähert sich ein Autofahrer, erhält dieser über die Schutzranzen-App auf seinem Smartphone oder über den Bord-Computer seines Autos eine Warnung: „Achtung, Kinder“. Schon vor Wochen wollte Hildebrandt in die Testphase einsteigen, aber der Aufschrei der Gegner zeigte Wirkung. „Wir hoffen jetzt, dass es im Herbst losgehen kann“, sagt er.

Autofahrer werden automatisch gewarnt, wenn Kinder in der Nähe sind

Vor allem in einem Punkt ist das Start-up, das nach eigenen Angaben bereits mehr als eine halbe Million Euro in die Entwicklung von App und Sender investiert hat, den Datenschützern entgegengekommen. Vom umstrittensten Feature, der Tracking-Funktion, hat sich Coodriver jetzt verabschiedet. Ursprünglich war vorgesehen, dass Eltern den Sender im Schulranzen – und damit ihre Kinder – orten können. Da dies „ohnehin nur als zusätzlicher Service gedacht war, haben wir diese Möglichkeit entfernt“, so Hildebrandt. Übrig bleibt die Warnfunktion, die Autofahrer sensibilisieren soll, wenn sie sich Kindern, Spielplätzen oder Schulen nähern.

Die Firma hat die App und den Sender, ein streichholzschachtelgroßes Gerät, den niedersächsischen Datenschutzbehörden nun zur Prüfung vorgelegt. Freiwillig, für die Markteinführung wäre das nicht nötig. Aber Coodriver will von offizieller Stelle bescheinigt bekommen, dass das Projekt harmlos ist. „Coodriver speichert keine Positionsdaten und kann diese entsprechend auch nicht weitergegeben, wie es von Außenstehenden befürchtet wurde“, sagt Hildebrandt. Er könne die Aufregung nicht nachvollziehen und nur vermuten, dass diese auch der neuen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geschuldet sei, die bald in der EU umgesetzt wird. „An Facebook und Google trauen sich die Datenschützer nicht ran, die dürfen alles und haben eine Armada von Anwälten. Wir können uns nicht so gut wehren.“

Die zuständige niedersächsische Datenschutzbeauftragte war am Montag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Die Stadt Ludwigsburg steht weiterhin hinter Coodriver. Nach wie vor gilt die Devise, die Werner Spec ausgegeben hat: „Wir wollen als erste Stadt in Deutschland eine flächendeckende Verbreitung der Schutzranzen-App erreichen“, sagte der Oberbürgermeister Ende Januar. Die Verwaltung beteiligt sich nicht mit Geld, hat Coodriver aber zugesichert, dass sie Schulen und Eltern über die Möglichkeiten der App informieren wird – denn das Ganze lebt davon, dass möglichst viele mitmachen.

Irgendwann sollen alle Autos über eine derartige Warnfunktion verfügen

Coodriver setzt darauf, dass die großen Autohersteller irgendwann selbst dafür sorgen, dass ihre Fahrzeuge ab Werk mit der Schutzranzen-App oder vergleichbaren Anwendungen ausgestattet sind. Heinz Handtrack, der im Rathaus für das Projekt zuständig ist, geht gar davon aus, dass derartige Funktionen eines Tages in jedem Auto integriert sein werden. „Das automatisierte Fahren kommt – und damit kommen auch solche Anwendungen.“

Weswegen Handtrack seinerseits die Kritiker kritisiert. Der Stadt sei Datenschutz extrem wichtig. Aber wenn es wegen irrationaler Ängste in Deutschland nicht möglich sei, solche Anwendungen zu testen, werde man eben „von Google überrannt – und die pfeifen auf Datenschutz“. Der Widerstand gegen die Ortungsfunktion sei völlig übertrieben gewesen. „Kinder haben heute früh ein Handy – und wer ein Handy hat, kann sowieso geortet werden. Punkt.“ Allzu schwer dürfte Coodriver der Verzicht auf die Ortungsfunktion indes nicht gefallen sein. Die neue Version des Geräts verfügt stattdessen über eine Anruffunktion: Die Kinder können sich per Knopfdruck telefonisch bei den Eltern melden. Im Gegenzug können diese jederzeit den Nachwuchs anrufen – und gegebenenfalls nach dem Aufenthaltsort fragen.