Jaroslaw Kaczynski führt die polnische Regierungspartei PiS Foto: dpa

Untergraben die Reformen von Polens neuer Regierung den Rechtsstaat? Darüber berät am Mittwoch die EU-Kommission.

Brüssel - Für Jean-Claude Juncker beginnt das neue Arbeitsjahr mit einer Belastungsprobe. Schließlich muss der Chef der Europäischen Kommission bei der ersten Sitzung 2016 seines Teams heute in Brüssel gleich zwei Signale aussenden: Polen soll wissen, dass sein nationalistischer Reformkurs mit Sorge beobachtet wird. Aber die neue Regierung darf nicht das Gefühl bekommen, man wolle sie unter Aufsicht stellen, wie es der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger ausgedrückt hatte.

„Es gibt zwei starke Indizien, die darauf hindeuten, dass der Rechtsstaat ausgehebelt werden könnte“, erklärte der liberale Europa-Abgeordnete und Vizepräsident des EU-Parlamentes, Alexander Graf Lambsdorff, am Dienstag gegenüber unserer Zeitung: „Wenn die Freiheit des Verfassungsgerichts eingeschränkt und die Medienfreiheit untergraben wird, sind das sehr deutliche Hinweise, die wir nicht übersehen dürfen.“ Trotzdem zeigte sich auch der Liberale sicher, dass die Brüsseler Kommission heute nicht die „harte Tour“ einschlagen wird.

„Es ist richtig, die Prüfung der Rechtsstaatlichkeit zu beginnen“, so Lambsdorff. Soll heißen: Das 2014 eingeführte dreistufige Verfahren wird zwar eröffnet, aber allen Drohungen prominenter Kommissare zum Trotz wird man nicht gleich die schärfste Waffe ziehen: Zu einem Aussetzen von Fördergeldern oder gar dem Entzug der Stimmrechte – wegen der gravierenden Auswirkungen im Diplomaten-Jargon auch „Atombombe“ genannt – dürfte es nicht kommen. Stattdessen könnten Gespräche und „klärende Treffen“ vereinbart werden. „Man sollte dieses Prinzip ‚Wir müssen darüber reden‘ nicht zu tief hängen“, verteidigt Lambsdorff den absehbaren Beschluss. „Eine solche Prüfung ist schon ein großer Fortschritt.“

Westerwelle setzte Instrument durch

Tatsächlich würde der Beginn der sogenannten Rechtsstaatlichkeitsprüfung nach Artikel 7 des EU-Vertrags, die übrigens auf Drängen des früheren deutschen Außenministers Guido Westerwelle in die Dokumente aufgenommen wurde, Polen und seine Regierung öffentlich bloßstellen. Zumal sich Jaroslaw Kaczynski, der Chef der Regierungspartei PiS, mit seiner Hoffnung auf einen Solidarisierungseffekt weiterer osteuropäischer Führungen gegen Brüssel verrechnet hat.

Lediglich Ungarns Premierminister Viktor Orbán machte inzwischen klar, dass er keinerlei Sanktionen gegen Warschau mittragen wolle. Dies wäre aber nötig, denn um Polen von den Brüsseler Beschlüssen auszusperren, bedarf es der Einstimmigkeit. Wohl auch deshalb wird Juncker heute eher auf Gesprächsbereitschaft setzen: Orbán, der selbst mehrfach rechtskonservative Wenden in seinem Land vor der EU verteidigen musste, ist für schärfere Maßnahmen sicherlich nicht zu haben.

Diese erscheinen aber auch aus einem anderen Grund wenig klug, meinte der CDU-Europa-Politiker Elmar Brok am Dienstag: Vorverurteilungen von außen könnten in Polen zu einer Solidarisierung führen, die der Regierungspartei Auftrieb gibt – „und das zu einem Zeitpunkt, wo die PiS gerade erheblich an Zustimmung in der polnischen Bevölkerung verliert“.

Für Juncker geht es um viel

Der Grünen-Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer gab sich ebenfalls zurückhaltend und warnte offen vor einer „herrischen Haltung“ angesichts der „problematischen Entwicklungen“ in dem Land. Für Juncker geht es deshalb am heutigen Tag um viel. Zum einen kann und darf die Kommission als „Hüterin der Verträge“ nicht schweigen, wenn rechtsstaatliche Prinzipien ausgesetzt werden. Zum anderen will er als Präsident der Behörde einen deutlichen „Warnschuss“ setzen.

Das ist er schon seinem Vize Frans Timmermans, der für Grundwerte in der Gemeinschaft zuständig ist, schuldig. Der Niederländer hatte nämlich bereits zwei mahnende Briefe nach Warschau geschickt, die die dortige Regierung unbeantwortet ließ. So, das ist aus Junckers Umgebung zu hören, dürfe keine Regierung mit der Brüsseler Zentrale umgehen.