Bundesweit läuft eine Diskussion über die Software Palantir. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte wagt nun erneut den Gang nach Karlsruhe.
In Baden-Württemberg wird derzeit politisch darüber gestritten, ob die umstrittene Überwachungssoftware Gotham des US-Unternehmens Palantir zum Einsatz kommen soll. In Bayern hat die dortige Landesregierung ihre Zustimmung schon gegeben. Die Software ist längst im Einsatz. Das soll nach dem Wunsch der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) nun ein Fall für das Bundesverfassungsgericht werden. Die Organisation hat am Mittwoch einen entsprechenden Antrag eingereicht. Bei einem Erfolg könnte dies auch für den Südwesten Auswirkungen haben.
Die Software analysiert nach Angaben der Gesellschaft heimlich die Daten von Menschen. „Schon wer Anzeige erstattet, Opfer einer Straftat wird oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort ist kann durch die Software ins Visier der Polizei geraten“, sagt Franziska Görlitz, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF.
Uneinigkeit über Befugnisse der Software
Laut bayerischem Landeskriminalamt (LKA) wird die Software nur bei Fällen schwerer und schwerster Kriminalität eingesetzt – einer Darstellung, der die GFF ausdrücklich entgegentritt. Nach den bayerischen Regeln dürfe die Polizei die Software auch dann verwenden, wenn es nicht um schwere Straftaten ginge, sagt Görlitz gegenüber unserer Zeitung. Die GFF halte sich dabei an die Definition, die das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit in ähnlichen Verfahren zu schweren Straftaten aufgestellt habe. Die bayerischen Kriminalisten würden dies offenbar anders beurteilen.
In Baden-Württemberg war zuletzt eine Debatte um den Einsatz der Software entbrannt. Die grün-schwarze Koalition hatte sich im Herbst unter dem Eindruck der Messerangriffe in Solingen und Mannheim auf ein umfangreiches Sicherheitspaket geeinigt. Zentrale Bestandteil: der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Analyse erhobener Daten auf einer verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform (VeRA). Bei den Haushaltsverhandlungen im Spätherbst wurden die entsprechenden Mittel eingestellt. Was noch ausstand, war die Änderung des Polizeigesetzes, die eigentlich noch vor der Sommerpause durchs Kabinett gehen sollte.
Doch ob es soweit kommt, ist inzwischen unsicher. Aus den Reihen der Grünen-Fraktion waren zuletzt Zweifel am Einsatz von Palantir aufgekommen. Dabei hatte Fraktionschef Andreas Schwarz im September bei der Vorstellung des Sicherheitspakets gelobt: „Durch den Einsatz modernster Technologien verbessern wir die digitale Auswertung der vorhandenen Daten bei der Polizei.“ Laut Innenministerium war damals immer klar, um welches Programm es geht: „Zum Zeitpunkt der Vereinbarung über das Sicherheitspaket zu VeRA kam nur Palantir als Lösung in Frage, das war in der Koalition auch klar“, heißt es von dort.
Doch inzwischen mehren sich die Zweifel an der Software, hinter der Tech-Mogul Peter Thiel steht. Grünen-Politiker Oliver Hildenbrand sagte vor einigen Wochen: „Der Antidemokrat Peter Thiel hat in den Datenbanken unserer Polizei nichts zu suchen“. Auch in der Opposition gibt es kritische Stimmen.
Vertrag ist schon geschlossen
Doch tatsächlich sind schon Fakten geschaffen. Das Land hat bereits im März auf Basis des von Bayern ausgehandelten Rahmenvertrags einen Vertrag mit Palantir geschlossen, wie das Ministerium jüngst einräumte. Solche Rahmenverträge ermöglichen anderen Ländern, die Software ohne zusätzliche Ausschreibung zu nutzen. Der Grund: Im März wäre die im Rahmenvertrag vereinbarte Preisbindung ausgelaufen. „Eine Unterzeichnung nach Ablauf dieser Frist hätte signifikante Mehrkosten verursacht“, heißt es vom Innenministerium. Eingesetzt wird die Software damit noch nicht, auch wenn sie schon bezahlt wird. Recherchen unserer Zeitung ergaben, dass der Fünf-Jahresvertrag 25 Millionen Euro kostet. Eine Ausstiegsklausel für den Fall, dass doch keine politische Mehrheit zustande kommt, gibt es nicht.
Das Thema verursacht Aufregung auf dem politischen Parkett in Stuttgart – und wird auch andernorts kritisch beäugt. „Wir beobachten das Gesetzgebungsverfahren und prüfen mögliche Klagen, wenn eine Regelung in Kraft tritt“, sagt Franziska Görlitz unserer Zeitung. Auch wenn sich die Regeln zwischen Bayern und Baden-Württemberg unterscheiden können: eine erfolgreiche Klage gegen den östlichen Nachbarn hätte natürlich auch Auswirkungen auf den Einsatz anderswo.
Grundsätzlich sind Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe nur selten erfolgreich. Die meisten werden gar nicht erst zur Entscheidung angenommen, nur rund zwei Prozent der Antragsteller erreichen letztlich ihr Ziel. Die GFF gehörte in den vergangenen Jahren mehrfach zu denen, die am Ende jubeln durften. Zuletzt im Oktober vergangenen Jahres mit einer Beschwerde zur Überwachungsbefugnis des Bundeskriminalamtes. Die aktuelle Beschwerde erfolgt in Zusammenarbeit mit acht anderen Organisationen oder Einzelpersonen, darunter dem Fußballverein Spvgg Greuther Fürth.