Quer durch den Wald: Ein Quelle-Fertighaus auf dem Weg ins Freilichtmuseum. Foto: JaKo Baudenkmalpflege GmbH

Häuser werden gebaut und abgerissen. So ist für gewöhnlich der Lauf der Dinge. Doch manches besondere Gebäude erhält eine zweite Chance – und wird an anderer Stelle wiederaufgebaut.

Stuttgart/Rot an der Rot - Hunderte Jahre stand das kleine Wengerterhaus im Stuttgarter Hospitalviertel. Auf 1550, eventuell sogar noch früher, schätzten Experten das Gebäude. Eines der ältesten des Quartiers, vielleicht sogar der ganzen Stadt. Bis 2012. Dann rückten die Abrissbagger an. Einige Jahre zuvor hatte das Häuschen nach einem neuen Gutachten seinen Denkmalschutzstatus verloren. Zu viel Baumasse, so hieß es, sei nicht mehr original. Eigentlich das Ende der Geschichte, trotz aller Proteste. Und doch der Beginn einer wundersamen Wendung.

Grüne Hügel, Wiesen und Wälder. So sieht heute die Umgebung des Häuschens aus der Großstadt aus. Auf der Weide nebenan grasen Kühe, auf der anderen Seite steht eine kleine Kapelle. Nicht wiederzuerkennen ist derzeit aber auch das Gebäude selbst. In einzelne Wände zerlegt, fein säuberlich verpackt, lagert es in einer großen Halle im oberschwäbischen Rot an der Rot. Alte Holzbalken stapeln sich bis unter die Decke, ein riesiges Fass einer Brauerei steht daneben, meterhohe Regale enthalten Stuckteile, Inventar und andere historische Teile.

Vor allem Freilichtmuseen nehmen die Dienste in Anspruch

„Hier haben wir derzeit vier Häuser untergebracht, die zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert gebaut worden sind“, sagt Bernd Jäger und streicht liebevoll über das Holz. Der geschäftsführende Gesellschafter der Jako Baudenkmalpflege GmbH und seine beiden Brüder kümmern sich nicht nur um die Restaurierung historischer Gebäude. Sie sind auch Spezialisten für die sogenannte Translozierung, die Umsetzung von kompletten Häusern. „Wir sind eigentlich in fast jedes solche Projekt in Deutschland eingebunden“, sagt Jäger. Meistens geht es um den Wiederaufbau in Freilichtmuseen wie dem in Beuren (Kreis Esslingen). Aber auch die öffentliche Hand zählt zu den Kunden, wenn zum Beispiel ein denkmalgeschütztes Haus einer wichtigen Straße weichen muss. Privatleute als Auftraggeber gibt es seltener, doch die Geschichten dazu sind oft kurios. Eine alte Kapelle zum Beispiel hat die Firma als Geburtstagsgeschenk am Stück umgesetzt. Oder ein Ferienhaus verschoben. Oder eben ein Stuttgarter Wengerterhaus in einzelne Wände zerlegt.

Seit 2012 lagert das Häuschen jetzt in Oberschwaben. Damals hat der Stuttgarter Unternehmer Peter Seydelmann, ausgestattet mit einem großen Herz für den Denkmalschutz und dem dafür notwendigen Geldbeutel, das Wengerterhaus gerettet. Der Bauherr, der ehemalige VfB-Kicker Walter Kelsch, wollte an dessen Stelle in der Firnhaberstraße ein Geschäftsgebäude errichten. Für Kelsch der Anfang diverser finanzieller Schwierigkeiten, die inzwischen zu einer Verurteilung wegen Betruges und einer Anklage wegen Beihilfe zum Drogenhandel geführt haben. Für Seydelmann Anlass, dem Bauunternehmen die Abbruchmasse abzukaufen und von Jako fachmännisch abtragen und einlagern zu lassen. „In Stuttgart verschwindet ein Baudenkmal nach dem anderen“, sagt Seydelmann. Das sei ein unwiederbringlicher Schaden für die Stadt.

Die Häuser werden in einer Halle restauriert

Seit fünf Jahren lagern die Einzelteile jetzt in Rot an der Rot. „Normalerweise lautet das Ziel, ein solches Gebäude sofort an anderer Stelle wiederaufzubauen. Aber in einer Notsituation geht es zunächst einmal darum, es zu sichern“, weiß Jäger. Dabei gibt es unterschiedliche Methoden. Wird Stein für Stein, Balken für Balken einzeln abgetragen, verschwinden die ursprünglichen Farben und Putze. Deshalb versuchen die Fachleute immer, die Häuser in möglichst großen Einzelteilen abzubauen. So bleibt möglichst viel Originalität erhalten. In Rot, wo Jako noch eine zweite Halle hat, werden die Häuser zusammengesetzt, restauriert, wieder in die Einzelteile zerlegt, mit Tiefladern an den neuen Bestimmungsort gebracht und aufgebaut. „Magic Hall“ nennen die 85 Mitarbeiter die klimatisierten Hallen deswegen halb im Spaß, halb ehrfürchtig.

Die Handwerker, Architekten und Ingenieure müssen dabei nicht nur viel Wissen um historische Bausubstanz mitbringen. „Man braucht das Herz dafür“, sagt Jäger. Der großgewachsene Mann zieht den Kopf ein und betritt ein Musterhaus aus dem 17. Jahrhundert, das auf dem Firmengelände steht und als Büro genutzt wird. Die Balken innen sind zum Teil 800 Jahre alt. „Wenn mich einer fragt, warum wir das alte Glump erhalten, sage ich immer: Alt ja, aber Glump ist das nicht, wenn das nach so langer Zeit noch seinen Zweck erfüllt“, sagt Jäger und streicht wieder über das Holz. Nebenan hängen 600 historische Türen fein säuberlich durchnummeriert – falls die wertvollen Teile bei einer Restaurierung gebraucht werden. Alte Beschläge oder gar ein Altar lagern daneben. Jäger zeigt eine prächtige Tür, 104 Jahre alt. „Sie stammt aus einer Mühle und weist aufwendige Beschläge auf. Früher war die Tür das Gesicht des Hauses, ein Statussymbol. Quasi das Auto von damals“, sagt er und lacht.

Zunehmend rücken auch Nachkriegshäuser ins Bewusstsein

Für viele Menschen muss ein Denkmal alt sein, das wissen auch die Experten bei Jako. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Fachwerkhäuser sind das eine, moderne Gebäude besonderer Art das andere. „In Freilichtmuseen zum Beispiel findet man fast nur historische Häuser. Da beginnt aber gerade ein krasses Umdenken“, erzählt Jäger. Ein Quelle-Fertighaus hat seine Firma schon umgesetzt, und auch ein MAN-Stahlhaus aus Stuttgart-Sillenbuch. Nachkriegsgebäude, die prägend für ihre Zeit waren. Das Sillenbucher Gebäude hat inzwischen im Hohenloher Freilandmuseum in Schwäbisch Hall-Wackershofen einen Platz gefunden. „In Bremen wird gerade eine Disco aus den 70er Jahren versetzt“ weiß Jäger – und hegt eine Hoffnung: „Wenn solche Gebäude erst einmal in den Museen präsent sind, wird auch die breite Masse deren Bedeutung eher erkennen können.“

Die Preisspanne für solche Projekte geht weit auseinander. Zwischen fünf- und siebenstellig sind die notwendigen Beträge, je nach Aufwand. Besonders in Großstädten gibt es dazu einen neuen Trend: Dort werden nur die prägenden Fassaden von Gebäuden abgebaut und eingelagert. Es entsteht ein neues Haus, das danach das alte Gesicht wiederbekommt. „Das kostet zwar zusätzlich, man hat dadurch aber eine völlig andere Baufreiheit. Das rechnet sich“, so Jäger.

Auch das Stuttgarter Wengerterhaus soll nicht ewig Mieter in der oberschwäbischen Halle bleiben. Peter Seydelmann war bereits kurz davor, einen Standort in Backnang zu finden. Der ließ sich aber dann doch nicht nutzen. Derzeit hat der Unternehmer die Suche nach einem geeigneten Platz wieder intensiviert und befindet sich in Gesprächen. „Das Haus ist gerettet und konserviert. Aber auf Dauer ist das natürlich kein Zustand“, sagt er. Seydelmann will der Welt das Kleinod zeigen. Es soll seine Hunderte Jahre dauernde Geschichte fortsetzen und von einer wundersamen Wendung erzählen können – an einem neuen Platz in der Region.