Das kulturelle Kraftwerk von Stuttgart ist mit 40 Jahren noch gut in Schuss: Mit einer Gala der großen Gefühle begeistert das Theaterhaus am Samstag zum runden Geburtstag das jubelnde Publikum. Mit viel Spaß und klaren Worten wird „ein Ort mit Haltung“ gefeiert.
Die Geburtstagsgala geht emotional „rauf und runter“, wie sie Theaterhaus-Gründer Werner Schretzmeier gleich zu Beginn beschreibt. Die über dreistündige Jubiläumsshow, die Höhepunkte vergangener Zeiten präsentiert, aber auch der jungen Generation, die noch viel vorhat, die Bühne überlässt, wird von dem 20-jährigen Abdul Alali am Piano eröffnet.
Der Flüchtling aus Damaskus, der 2016 nach Deutschland kam, hat sich das Klavierspiel selbst beigebracht und verfügt, wie der Hausherr sagt, über ein „absolutes Gehör“. Und wie sich Abdul Alali freut, dass ihn das Publikum so sehr bejubelt! Dass er der erste Künstler eines sehr langen und äußerst vielseitigen Programms ist, passt zum Theaterhaus, dem es seit 40 Jahren immer um viel mehr geht als um Kunst und Kultur. Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) rühmt „einen Ort, der in der Stadt für Haltung steht“, einen Ort, der sich für eine „offene, freie und tolerante Gesellschaft“ einsetze. Ein künstlerisch überraschender Migrant auf der Bühne ist ein Zeichen. Der Applaus ist stürmisch.
In dieser Nacht wird immer wieder rekordverdächtig geklatscht – auch OB Frank Nopper (CDU) kommt an mit seinem Lob, das Theaterhaus sei ein „Wunderknabe der deutschen Kulturzentren“, das aus Stuttgart europaweit ausstrahle und aus gutem Grund zu den bestbesuchten Bühnen in Deutschland zähle. Bei der Eröffnungsrevue am 29. März 1985 im alten Theaterhaus Wangen hatten die Macher ganz bewusst auf Reden verzichtet – auch das war damals eine Botschaft, nämlich dafür, dass man anders sein wollte als die etablierten Einrichtungen mit ihren hohen Subventionen.
Heute arbeiten 120 Frauen und Männer für das Theaterhaus
40 Jahre später geht’s ohne Reden freilich nicht. Es ist vieles anders geworden, auch bei denen, die sich treu bleiben wollen. Wenn in den 80ern ein Besucher ins Theaterhaus kam, der über 60 Jahre alt war, stand er unter Verdacht, vom Verfassungsschutz zu sein. Bei der Geburtstagsfeier im ausverkauften Theaterhaus am Samstagabend dürften schätzungsweise um die 80 Prozent der Gäste Ü 60 sein. Mit acht Mitarbeitern hat Stuttgarts Herz der „alternativen Kultur“ 1985 angefangen zu schlagen, heute sind 120 Frauen und Männer am Pragsattel fest beschäftigt. „Das Theaterhaus ist ein Teil unserer Biografie“, sagt Ministerin Olschowski und dürfte damit für die Mehrheit des Publikums sprechen. Jeder hat Erinnerungen an diesen Ort, denkt gern an unvergessene Erlebnisse und Programm-Highlights zurück.
„In der Liebe tote Hose, auf der Pasta Sahnesoße“
Älterwerden – nur zu! Michael Gaedt, Roland Baisch und Otto Kuhnle, die vor 40 Jahren bei der Eröffnungsrevue auf der Bühne standen, damals jeweils noch mit anderen Formationen, besingen die Veränderung in vier Jahrzehnten so: „In der Liebe tote Hose, auf der Pasta Sahnesoße.“ Das Comedy-Trio – zusammen weit über 180 Jahre alt – hat es voll drauf, ohne nur von früher zu sprechen. Die Veteranen liefern in der Abteilung Spaß neben Christoph Sonntag, Eure Mütter, Rolf Miller und Helge Thun grandios ab. Als Vertreter der jungen Garde setzt Schlagzeuger Florian Dauner das Lebenswerk seines Vaters Wolfgang Dauner fort und erfreut mit dem United Jazz + Rock Ensemble 2nd Generation das Publikum nicht nur musikalisch, sondern auch mit dem überzeugenden Beweis, dass junge Leute wunderbar fortsetzen, was ihre Vorfahren begonnen haben.
Bei der Eröffnung 1985 war Ron Williams dabei. Mit nun 82 Jahren sorgt der US-Entertainer bei der Geburtstagsfeier für starken Beifall – vor allem mit seinen klaren Worten gegen den US-Präsidenten Donald Trump. „Wir müssen aufstehen, laut werden gegen Hass und für Demokratie“, ruft er – und alles klatscht. Beim Blick in seine Heimat, wo ein „Lügner“ das Weiße Haus bewohne, bekomme er „Gänsehaut“. Jetzt müssten die US-Amerikaner nach Deutschland schauen, um zu sehen, was Demokratie sei.
Eric Gauthier beschreibt das Theaterhaus, das er 2007 mit eigenem Ballettensemble zum Tanzhaus gemacht hat, als „Wall of Wonder“. So viel Überraschendes passiere hier immer wieder. Als Singer/Songwriter tritt er auf, sehr rührend würdigt er etwa die Liebe von Werner und Gudrun Schretzmeier, ehe sein Junior Ensemble Bolero auf Mini-Trampolis tanzt, was voll unter die Haut geht.
Auch das Theaterhaus-Schauspiel führt faszinierend Ausschnitte seiner Programme auf, und die norwegische Sängerin Rebekka Bakken begeistert mit ihren glockenklaren Stimme unter anderem mit einer ganz besonderen Version des Elvis-Presley-Hits „Always on my Mind“.
OB Nopper und seine beiden Vorgänger – alle da
In der ersten Reihe sitzen gleich drei Oberbürgermeister der Stadt: neben dem amtierenden Rathauschef Frank Nopper sind seine Vorgänger Fritz Kuhn und Wolfgang Schuster gekommen. Der Letztere hatte als Persönlicher Referent von OB Manfred Rommel 1984 beim Richtfest des alten Theaterhauses in Wangen das Grußwort gesprochen. Außerdem gesehen: Landtagspräsidentin Muhterem Aras, Schauspieler Walter Sittler, Varieté-Intendant Timo Steinhauer mit seiner Vorgängerin Gaby Frenzel, Musiccircus-Chef Hans-Peter Haag, Ballettlegende Egon Madsen, Opern-Intendant Viktor Schoner, Staatssekretär Arne Braun. Die After-Show-Party wird nach der Gala in der Sporthalle des Theaterhauses gefeiert.
In dieser Nacht spüren die Jungen mit den nicht mehr so Jungen, dass ein Lebensgefühl, das vor 40 Jahren die Stadt erfasst hat, auch heute noch stark ist und viele antreibt. Experimente schaffen, Neues entdecken, für Überraschungen sorgen – jetzt kommt es auf die kreative Erbengeneration an, dass sie auf dem, was die Älteren geschaffen haben, aufbaut und um noch ganz neue Facetten erweitert.
Am Eingang gibt’s für einen Euro die rote Tasche zum Jubiläum. Auf der eine Seite steht „40 – 1985 bis 2025“. Auf der anderen Seite sind die beiden Zahlen verrutscht und umgedreht. Aus der 40 ist ein O h geworden. Ach ja, O h, der Ausdruck der Überraschung, passt für eine Show, die zu einem Teil der Stadtgeschichte werden wird.