„Manspreading“ nennt sich die Angewohnheit von manchen Männern, die in öffentlichen Verkehrsmittel breitbeinig da sitzen. Foto: dpa/Andrew Renneisen

Sonnenbrille, Smartphone, Kopfhörer - was darf man wann und in welcher Situation getrost benutzen und ab wann ist es unhöflich? Wir haben bei einer Expertin nachgefragt. Birte Steinkamp ist Mitglied bei der deutschen Knigge-Gesellschaft und kennt sich mit gutem Benehmen aus.

Stuttgart - Zeiten ändern sich und mit ihr die Umgangsformen. Als der Wegbereiter der Höflichkeits-Standards, Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge, im 18. Jahrhundert sein Werk „Über den Umgang mit Menschen“ verfasst hat, gab es schließlich noch keine Smartphones und vermutlich auch keine Sonnenbrillen. Die moderne Alltagskultur erfordert neue Maßstäbe im Umgang der Menschen untereinander. Was früher als höflich galt, ist heute längst überholt. Wir haben uns einige alltägliche Situationen und Gegenstände heraus gegriffen und bei der Expertin Birte Steinkamp von der Deutschen Knigge-Gesellschaft nachgefragt, was heutzutage als höflich beziehungsweise unhöflich gilt.

Manspreading – Unschöne Ansichten

In manchen Städten gibt es an Haltestellen Verbotsschilder: bitte nicht breitbeinig sitzen! Manche Männer können sich nicht von dieser schlechten Angewohnheit, englischer Fachbegriff „Manspreading“, trennen. „Es ist sehr unangenehm für die Anwesenden, wenn Männer so da sitzen“, sagt die Knigge-Expertin Birte Steinkamp. „Das hat etwas mit Respekt zu tun, man sollte den anderen genügend Platz lassen und ihnen nicht einen Anblick zumuten, der sie in Verlegenheit bringt.“ Es sei eine typisch chauvinistische Haltung von manchen Männern in Führungspositionen: zurückgelehnt auf dem Bürostuhl fläzend, gespreizte Beine, Hände hinterm Kopf verschränkt.

Shebagging – Hier sitzt meine Tasche!

Nicht weniger respektlos ist das weibliche Pendant in öffentlichen Verkehrsmitteln, das so genannte „Shebagging“. „Frauen haben die Angewohnheit, ihre Tasche auf dem Sitz neben sich zu platzieren und diesen damit zu blockieren“, sagt Birte Steinkamp. „Wenn ich in den Bus oder die Bahn steige, muss ich davon ausgehen, dass sich jemand neben mich setzen könnte.“ Man könne beobachten, dass diejenigen, die ihre Tasche neben sich stellen – übrigens machen das auch Männer – , oft keinen Blickkontakt aufnehmen und eine ablehnende Körperhaltung einnehmen würden. „Meistens wissen sie genau, dass das, was sie gerade tun, nicht in Ordnung ist“, so Birte Steinkamp.

Kopfhörer – Feind hört mit

Kopfhörer wie Mickey-Maus-Ohren oder die Variante elektrische Zahnbürstenköpfe – Geschmäcker sind verschieden, Musik oder Podcasts in den Gehörgängen gang und gäbe. Nicht nur, dass Kopfhörer im Straßenverkehr zur Gefahr werden können – schließlich hört man die Umgebungsgeräusche nicht mehr. „Sie strahlen Ablehnung aus, je nachdem in welcher Situation sie getragen werden“, sagt Birte Steinkamp. Während es in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht als unhöflich gilt, könnte man im Büro damit ins Fettnäpfchen treten. „Schließlich sollte man seinen Kollegen nicht unbedingt Ablehnung signalisieren. Generell gilt: mit der Lautstärke Maß halten.“

Sonnenbrille – Schau mir tief in die Gläser!

Sommer ist dann, wenn einem Ray-Ban-Aramadas auf den Flaniermeilen entgegenkommen. Sonnenbrillen an der frischen Luft sind nicht nur modisches Accessoire, sondern auch Schutz vor übermäßiger Sonnenstrahlung. In geschlossenen Räumen allerdings gehören dunkle Gläser ins Etui und nicht auf die Nase. „Es gibt Situationen, in denen man sie auflassen kann: wenn die Sonne blendet oder weil man die Brille wegen der Sehschärfe braucht. Dann sollte man sie aber wenigstens zur Begrüßung abnehmen und sich dann entschuldigen, wenn man sie wieder aufzieht“, sagt Knigge-Expertin Birte Steinkamp. Der verstorbene Modeschöpfer Karl Lagerfeld hat sich nicht an solche Regeln gehalten. Zu ihm gehörte die schwarze Sonnenbrille wie sein weißer Mozartzopf. Steinkamp: „Bei Lagerfeld war das eine Attitüde, die auch etwas Arrogantes, Überhebliches hatte.“

Smartphone – Bitte nicht reinbeißen

Galten junge Menschen bis vor Kurzem noch als die Generation Kopf unten, weil sie unentwegt aufs Smartphone starren, ist es schon wieder Zeit für einen neuen Namen. Die Jugend schreibt kaum noch Nachrichten, vielmehr nimmt sie Sprachnachrichten per Whatsapp auf. Oder – ganz revolutionär – sie telefoniert! Und in modern geht das so: Man stellt das Smartphone auf Lautsprecher und hält es dann waagrecht vors Gesicht, sodass sich das Mikrofon des Geräts in unmittelbarer Nähe zum Mund befindet. Und dann einfach draufloslabern. Das sieht nicht nur plemplem aus, das stört auch ganz schön, vor allem dann, wenn man in der U-Bahn direkt neben einem Exemplar der Generation Smartphone-Beißer sitzt. Birte Steinkamp: „Lautes Telefonieren in der Öffentlichkeit ist ein No-Go. Menschen haben in der Regel kein Bedürfnis, das Privatleben Fremder mitzubekommen.“

Rauchen – So viel Freiheit darf sein

Rauchern wird das Leben schwer gemacht. Das kann soweit gehen, dass man im Außenbereich eines Lokals von einem Gast darum gebeten wird, nicht beziehungsweise in eine andere Himmelsrichtung zu rauchen. Birte Steinkamp sagt: „Derjenige, der sich beschwert, hat sich wissentlich in einen Bereich gesetzt, wo gegessen wird und geraucht werden darf. Deshalb muss man auch damit rechnen, dass geraucht wird“. Grundsätzlich gilt: wo Aschenbecher stehen, darf geraucht werden. So wie Raucher Rücksicht auf Nichtraucher nehmen, sollten auch Nichtraucher bis zu einem gewissen Grad Rücksicht auf Raucher nehmen.

Distanz – Bitte nicht anfassen

Es gibt eine Faustregel für den Abstand, den man zu seinem Gegenüber einhalten sollte: „Ab 30 Zentimetern beginnt die intime Distanz“, erklärt Birte Steinkamp. So nahe darf man bei einer Begrüßung kommen. Danach sollte man einen halben Schritt zurückweichen. Es gibt Menschen, die es nicht lassen können ihr Gegenüber während des Gesprächs zu berühren. „Damit dringe ich in die intime Zone ein, das hat etwas joviales und wirkt ein bisschen von oben herab“, sagt die Expertin. In der Politik käme es oft vor, dass kleinere Politiker ihrem größeren Gegenüber beim Händeschütteln die Hand auf den Arm oder die Schulter legten.

Die Expertin – der Namensgeber

Birte Steinkamp ist Mitglied bei der deutschen Knigge-Gesellschaft und kennt sich mit gutem Benehmen aus. Die 39-Jährige ist Trainerin für Business-Etikette. Der Ausdruck Knigge steht für gute Umgangsformen. Wer den Knigge verinnerlicht hat, wird von seinen Mitmenschen als gut erzogen, höflich und kultiviert bewertet. Der klassische Knigge ist als Anleitung für den Alltag allerdings nicht mehr gut zu gebrauchen, er ist überholt. Vor ein paar Jahren ist ein moderner Knigge erschienen, der seine Ratschläge an die moderne Welt angepasst hat. Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge war im 18. Jahrhundert ein deutscher Schriftsteller und Aufklärer. Bekannt wurde er vor allem durch seine soziologische Schrift „Über den Umgang mit Menschen“.