Ralf Zimmermann appelliert an die Bürger, das Haus nur dann zu verlassen, wenn es überhaupt nicht anders geht. Foto: Werner Kuhnle

Das Coronavirus hält auch die Verwaltung in Atem. Bürgermeister Ralf Zimmermann äußert sich zu der Krisenlage.

Großbottwar - Fast stündlich neue Nachrichten, neue Verordnungen, neue Regeln: Die Corona-Krise hat Auswirkungen, die man vor wenigen Wochen höchstens aus Science-Fiction-Romanen kannte. Auch für die Kommunen bedeutet das Virus mit all seinen Begleitumständen eine enorme Herausforderung. Der Großbottwarer Bürgermeister Ralf Zimmermann erklärt im Interview, wie er damit umgeht, wo die Schwierigkeiten liegen und welchen Handlungsspielraum die Kommunen überhaupt noch haben.

Herr Zimmermann, Sie sind seit etwas mehr als zehn Jahren Bürgermeister in Großbottwar. Ist das momentan für Sie die schwierigste Phase im Amt?

Es ist die außergewöhnlichste Phase. So etwas ist mir noch nicht untergekommen. Man muss auch sehen, in welchem Tempo sich das Virus ausbreitet und welche Konsequenzen das hat. Das öffentliche Leben wird nahezu komplett heruntergefahren. Das war vor einigen Wochen noch kaum vorstellbar. Wir müssen harte Entscheidungen bekannt geben. Es ist schon bitter, einem Gastronomen, der Tränen in den Augen hat, erklären zu müssen, dass er bis mindestens Mitte Juni zuhat. Hier geht es auch um Existenzen.

Ist der Publikumsverkehr im Rathaus komplett gekappt worden?

Ja, Bürger können nur noch unaufschiebbare Termine wahrnehmen, und das auch nur unter vorheriger telefonischer Anmeldung.

Was zählt denn als dringender Fall?

Wenn beispielsweise jemand stirbt und man eine Todesurkunde braucht oder wenn es um die Anerkennung einer Vaterschaft geht. Das kann unter Umständen gravierende rechtliche Auswirkungen im Hinblick auf bestimmte Entscheidungen haben.

Können Paare auf dem Standesamt auch noch heiraten?

Hier mussten wir Einschränkungen vornehmen. Vor ein paar Tagen hatten wir verfügt, dass maximal 20 Personen an einer Hochzeit teilnehmen dürfen. Diese Zahl haben wir nun inklusive des Brautpaares auf zehn reduziert. Außerdem werden nur noch die angemeldeten Trauungen vollzogen, neue Aufgebote verschieben wir derzeit. Es sei denn, es liegt eine Eilbedürftigkeit vor.

Wer trifft solche Entscheidungen? Sie alleine, oder ein Team aus Mitarbeitern?

Wir haben einen Krisenstab gebildet, in dem die erweiterte Verwaltungsspitze sitzt. Inzwischen setzen wir uns einmal täglich zusammen und besprechen, was zu tun ist. Dort analysieren wir die aktuelle Lage und überlegen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen und beschließen die Maßnahmen.

Was wurde Stand jetzt, also Dienstagnachmittag, für Großbottwar beschlossen?

Im Prinzip sind alle öffentlichen Einrichtungen wie die Stadtbücherei, das Jugendhaus und unsere Hallen zu. Dies trifft jetzt auch die Aussegnungshallen der Stadt auf den Friedhöfen. Am Montag haben wir auch den Sportplatz geschlossen, weil dort nach wie vor von Freizeitkickern gespielt wurde. Wir hatten da auch schon darüber nachgedacht, die größeren Spielplätze dichtzumachen, um größere Ansammlungen von Kindern zu verhindern. Doch diese Entscheidung wurde uns ja mit dem Beschluss von Bund und Ländern inzwischen abgenommen, die gesagt haben, dass sämtliche Spielplätze gesperrt werden müssen. Das Gleiche gilt für das Fitnesscenter bei uns und den Kinder-Indoorspielplatz.

Seit Dienstag sind auch die Kindergärten geschlossen. Wird die Stadt Großbottwar Notgruppen einrichten?

Ja, wir haben zwei Gruppen eingerichtet. Allerdings müssen klare Bedingungen erfüllt werden, damit ein Kind weiter betreut werden kann. Beide Elternteile müssen in einem systemrelevanten Beruf arbeiten, also Polizist, Pfleger oder Arzt sein, oder einer vergleichbaren Tätigkeit nachkommen. Es reicht nicht, wenn nur die Mutter oder nur der Vater einer solchen Berufsgruppe angehört. Bislang haben sich ungefähr ein halbes Dutzend Familien gemeldet, die den Service in Anspruch nehmen wollen.

Bekommen die anderen Eltern in der betreuungslosen Zeit ihr Geld zurück?

Wie wir das handhaben werden, darüber diskutieren wir gerade. Die Antwort hängt auch davon ab, wie lange die Schließung anhält. Fest steht, dass Eltern, deren Kind für eine Ganztagesbetreuung angemeldet ist, kein Essensgeld bezahlen müssen. Alles Weitere werden wir sehen.

Würden Sie eine Prognose wagen, wie lange Schulen und Kindergärten geschlossen bleiben müssen?

Bislang greift die Schließung bis zum 19. April. Danach muss man sehen, wie sich die Lage darstellt. Meine Hoffnung ist, dass man das Virus bis Ostern im Griff hat. Das würde bedeuten, dass sich die Zahl der Neuinfizierten rapide reduziert hat. Ob es so kommt, kann ich nicht abschätzen und schon gar nicht beurteilen. Ich denke, kaum jemand hat vorhergesehen, wie rasend schnell sich das Virus verbreitet.

Ist der Erreger auch schon in Großbottwar angekommen und haben Sie bereits einen Corona-Fall?

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass angesichts der vielen nachgewiesenen Fälle in Baden-Württemberg und dem Landkreis Ludwigsburg auch in Großbottwar jemand infiziert ist. Das Landratsamt fährt aber die Linie, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes die Fallzahlen nicht nach einzelnen Ortschaften aufzudröseln. Insofern möchte auch ich bei dem Punkt nicht weiter ins Detail gehen.

Wie erfährt die Stadt, ob ein Bürger betroffen ist?

Das läuft in der Regel über mich selbst. Ich bekomme dann einen Anruf vom Landratsamt Ludwigsburg und werde darauf hingewiesen, dass es in unserer Kommune einen Corona-Fall gibt. Mit den Behörden wird dann auch das weitere Vorgehen besprochen. Dabei werden wir vom Gesundheitsamt in sehr guter Weise begleitet. Der Betroffene geht dann, sofern er nicht stationär behandelt werden muss, in häusliche Quarantäne. Das Landratsamt teilt uns auch mit, ob die infizierte Person gegebenenfalls behördlich durch uns eingewiesen werden muss.

Was bedeutet das?

Dass sie sich nicht freiwillig in Quarantäne begeben möchte. In dieser Konstellation müssen wir uns darum kümmern, dass die Vorschriften auch gegen den Willen des Betroffenen eingehalten werden.

Sind Sie mit dem Krisenmanagement der Behörden zufrieden?

Alles in allem ja. Man darf nicht vergessen, dass die Situation für alle Neuland darstellt. Die Zusammenarbeit mit dem Landkreis ist auf jeden Fall gut.

Welchen Führungsstil halten Sie in Zeiten wie diesen für angemessen, auch für einen Bürgermeister?

Ich glaube, es ist wichtig zu sagen, dass wir alle unser Bestes tun. Und wir müssen ehrlich mit dem Thema umgehen und auch offen kommunizieren, dass wir nicht alles wissen. Man muss den Leuten die Wahrheit sagen, das ist entscheidend. Als Bürgermeister muss ich jetzt gemeinsam mit meinen Mitarbeitern zusammenstehen und mich auch persönlich darum kümmern.

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Bürger mit massiven Einschnitten leben müssen. Haben Sie das Gefühl, dass das akzeptiert wird?

Überwiegend schon. Mein Gefühl sagt mir allerdings auch, dass wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben und es noch die eine oder andere Verfügung geben wird, mit der wir alle uns arrangieren müssen. Dabei müssen wir uns klarmachen, dass wir dies für die Schwächsten und Gebrechlichsten in unserer Gesellschaft tun, die sich nicht mehr gegen das Virus wehren können. Hier müssen wir zusammenstehen.

Hat die Stadt selbst noch Spielraum, um die Schrauben weiter anzudrehen?

Viele Möglichkeiten gibt es nicht mehr. Wir haben aber nun als weitere Vorsichtsmaßnahme beispielsweise die anstehenden Sitzungen der Zweckverbände gecancelt. Auch der Gemeinderat wird Ende März nicht zusammengekommen. Der Termin wurde verschoben. Wir müssen alles unternehmen, um Zeit zu gewinnen und die Ausbreitung der Epidemie zu verlangsamen. Ich rufe die Bevölkerung auf: Gehen Sie bitte nicht aus dem Haus, wenn Sie nicht müssen!