Julianne Moore spielt die Alzheimer-Patientin Alice und hat dafür einen Oscar bekommen: Eine Professorin, die langsam ihr Gestern verliert – und auf einen Schlag die Zukunft Foto: polyband.de

Von Kritikern wurde der Kinofilm, in dem Juliane Moore eine Alzheimer- Patientin­ darstellt, gefeiert. Wir haben die Alzheimer- und Krebsforscherin Viola Nordström eingeladen, sich den Film für die Stuttgarter Nachrichten anzusehen. Sie erklärt, warum es noch mehr Filme wie „Still Alice“ braucht.

Stuttgart - Frau Nordström, hat Hollywood-Star Julianne Moore den Oscar für ihre Darstellung als Alzheimer-Patientin Alice verdient?
Ja, in jedem Fall. Ich fand, es war eine sehr empathische und einfühlsame Darstellung des Lebens einer Alzheimer-Patientin. Julianne Moore hat der Figur Alice sehr viel Würde verliehen.
Wie gehen Menschen damit um, wenn sie die Diagnose Alzheimer bekommen?
Viele haben ja schon eine Ahnung, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmt. Dass beispielsweise ihre Vergesslichkeit über den Punkt hinausgeht, bis zu dem man diese noch als Schusseligkeit abtun könnte. Etwa, wenn man wie im Fall von Alice beim Joggen auf bekannten Wegen die Orientierung verliert. Oder wenn einem alltägliche Wörter nicht mehr einfallen. Anfangs versuchen viele das zu überspielen.
Auch Alice kaschiert ihre zunehmende Vergesslichkeit zunächst mit Witzen.
Ja, das wird im Film gut dargestellt. Anfangs funktioniert das ja auch noch. Aber dann kommt doch die Angst, dass diese Vergesslichkeit nicht normal ist. Teils gehen Betroffene dann zum Arzt, teils werden sie von Angehörigen geschickt, weil denen die Veränderungen auch nicht verborgen bleiben. Wenn sie dann vom Arzt hören, dass sie an einer Demenz wie eben Alzheimer leiden, ist das trotzdem ein Schock.
Wie sicher kann denn ein Arzt eine Alzheimer-Demenz nachweisen?
Wenn jemand mit den typischen Symptomen eines präklinischen Stadiums – also aufgrund von Wortfindungsstörungen und zunehmender Orientierungsschwäche – zum Arzt geht, werden erst mal neurologische Tests gemacht. So wie es auch im Film dargestellt wird. Es werden recht einfache Fragen zur zeitlichen und räumlichen Orientierung gestellt, die Testperson muss Gegenstände oder Tiere erkennen und benennen. Die Antworten werden dann mit Hilfe eines Punktesystems bewertet. Daran kann ein Arzt eine erste Verdachtsdiagnose stellen, die über weitere klinische Tests wie beispielsweise eine Kernspintomografie gesichert wird. Da spiegelt der Film sehr gut die Realität wider.
Bei Alice werden Eiweißablagerungen im Gehirn nachgewiesen, die als typische Alzheimer-Anzeichen gelten. Gleichzeitig wird gewarnt: Nicht jeder, der solche sogenannten Plaques hat, ist automatisch ein Alzheimer-Patient. Wie ist das zu erklären?
Es gibt Fälle – mir fällt da eine Studie mit Nonnen ein –, da wurden solche Eiweißablagerungen, also Plaques, in Gehirnen nachgewiesen. Doch die Betroffenen hatten keinerlei kognitive Beeinträchtigungen. Die Anzahl der Plaques an sich ist also kein sicheres Kriterium dafür, dass man in jedem Fall eine Demenz entwickelt. In der Forschung geht man davon aus, dass es die Vorstufen dieser Ablagerungen sind, die auf die Nervenzellen im Gehirn toxisch wirken. Man nennt diese Oligomere. Diese finden sich weitaus früher bei Demenzpatienten. Allerdings sind sie nur mit Methoden nachzuweisen, die der Wissenschaft vorbehalten sind. Für Kliniken sind diese Tests noch nicht geeignet.
Gibt es eine Früherkennung bei Alzheimer?
Handelt es sich um familiär bedingten Alzheimer, dann ja. Denn dieser wird durch eine genetische Veranlagung ausgelöst. Das kann man durch einen Bluttest herausfinden. Wer diese Veränderung im Erbgut hat, erkrankt zu 100 Prozent an Alzheimer. Doch diese Mutationen betreffen nur einen kleinen Teil der Patienten. Für alle anderen gibt es noch keine Frühtests. Es wird an sogenannten Biomarkern geforscht, die ein mögliches Risiko anzeigen könnten. Aber es gibt noch keine aussagekräftigen Ergebnisse. Letztlich stellt sich die Frage, ob man das Erkrankungsrisiko wissen will, wenn es noch keine Heilung gibt.
Alice ist hochgebildet, ernährt sich gesund, sie treibt Sport und lenkt sich gern mit Online-Wortspielen ab: Dennoch hat sie keine Chance, ihrem erblich bedingten Alzheimer zu entgehen. Doch was ist mit Menschen ohne genetische Vorbelastung – was können sie tun, um einer Demenz vorzubeugen?
Studien haben gezeigt, dass regelmäßige körperliche Aktivität einen gewissen Schutz vor Demenz bietet. Wenn man beispielsweise Alzheimer-Mäuse in einen Käfig setzt, in dem es viele Angebote zum Spielen oder zu anderweitiger Beschäftigung gibt, bilden sich in deren Gehirnen mit der Zeit neue Nervenverbindungen. Ein intellektuell stimulierendes Umfeld und eine gesunde Ernährung sind in jedem Fall ebenfalls schützend. Doch man muss sich klar sein: Diese Dinge mindern nur das Risiko, und sie können den Verlauf nur begünstigen. Klar nachgewiesen ist allerdings, dass Fettleibigkeit, Bluthochdruck, hohe Blutfettwerte oder auch Rauchen das Risiko stark erhöhen. Auch Betroffene mit Diabetes Typ 2 entwickeln eher eine Demenz.
Im Film sagt Alice, sie hätte lieber Krebs. Denn diese Krankheit werde in der Gesellschaft eher akzeptiert. Ist Alzheimer nicht gesellschaftsfähig?
Das war einmal so, in den frühen 80er Jahren. Da haben sich die Leute noch die Infomaterialien der Alzheimer-Forschung- Initiative in neutralen Umschlägen schicken lassen, damit die Nachbarn nicht Verdacht schöpfen. Das hat sich aber mittlerweile geändert. Filme wie „Still Alice“ helfen dabei, das Thema Alzheimer aus der Schamecke herauszuholen – auch, weil Julianne Moore der Alzheimer-kranken Alice eine solche Würde verleiht.
Bei Alice schreitet die Krankheit sehr rasch voran: Nach zwei Jahren kann sie nicht mehr ohne Betreuung sein. Wie lange dauert die Krankheit im Normalfall?
Das lässt sich nicht sagen. Der Krankheitsverlauf ist ein individueller Prozess. Beim sporadischen Alzheimer gibt es Patienten, da verschlechtert sich die Situation innerhalb von sechs Jahren. Es gibt aber auch Patienten, bei denen der Alzheimer langsamer fortschreitet. Beim familiären Alzheimer verläuft die Krankheit etwas schneller. Es hängt bei dieser Form sehr davon ab, welche Gene betroffen sind. Obwohl der geistige Abbau von Alice im Film schon sehr schnell verläuft.
Der Film begleitet die Alzheimer-Patientin Alice nicht bis zum Schluss. Wie würde es mit ihr weitergehen?
Alice wäre im Endstadium wahrscheinlich bettlägerig. Es ist oft so, dass Demenzpatienten an sekundären Erkrankungen wie Infekten sterben, weil ihr Immunsystem immer schwächer wird. Was aber wichtiger ist: Auch wenn bei Demenzpatienten der Eindruck entsteht, dass sie abwesend sind, so funktioniert auf deren emotionaler Ebene noch vieles sehr gut.
Das zeigt sich auch in der Szene, in der die Tochter der Mutter eine Geschichte erzählt, die von Liebe handelt.
Ja. Alice reagiert darauf. Trotz geistigen Verfalls ist sie emotional weniger beeinträchtigt. Das ist eine wichtige Botschaft: Demenzkranke sind immer noch Menschen mit Bedürfnissen. Das zeigt der Film schon mit dem Titel „Still Alice“ – immer noch Alice. Sie ist noch jemand. Vielleicht nicht mehr mit ihren Erinnerungen, aber mit ihren Gefühlen und mit ihrer Seele.