Geht Sexualität auch in Rente? Berliner Wissenschaftler haben 60- bis 80-jährige gefragt, was bei ihnen so los ist im Bett. Manche Antworten haben sie überrascht.
Berlin - Geht Sexualität auch in Rente? Für eine Studie zu Sex im Alter haben Berliner Forscher Aussagen der Generation 60 Plus mit Umfragen unter jüngeren Erwachsenen verglichen. Ihr Ergebnis: Sexualität im Alter ist anders, doch die Fähigkeit, Intimität zu erleben, bleibt vom Alter fast unberührt. Auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen verwischt das Alter nicht, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift „Psychology and Aging“.
2008 zeigte Regisseur Andreas Dresen mit seinem Film „Wolke 9“, dass Liebe kein Alter kennen muss. Inge, die sich in dem Film in Karl verliebt, wird bald 70. Karl ist fast 80 - und erwidert ihre Gefühle. Gezeigt werden auch Nacktszenen. Sex im Seniorenalter, Menschen mit Falten und nichts an? Das war ungewohnt auf der Leinwand, auf der Wolke 7 meist Jüngeren vorbehalten ist. Wie ist das im wahren Leben?
Nicht nur Geschlechtsverkehr
Für ihre Studie haben Psychologen, Mediziner, Sozialwissenschaftler und Genetiker aus verschiedenen Berliner Forschungseinrichtungen drei Facetten der Sexualität untersucht: sexuelle Aktivität, sexuelle Gedanken und Intimität. „Intimität ist für uns dabei die emotionale Ebene der Sexualität“, erläutert Psychologin Karolina Kolodziejczak von der Berliner Humboldt-Universität. „Das sind verschiedene Gefühle, die mit Sexualität verbunden sind. Dazu gehören zum Beispiel Geborgenheit, Sicherheit und Akzeptanz, die durch körperliche Kontakte entstehen.“
Sex definierten die Wissenschaftler auch nicht allein als Geschlechtsverkehr. Sie fragten nach vier verschiedenen sexuellen Aktivitätsarten: Körperkontakt, Austausch von Zärtlichkeiten, Sex ohne Geschlechtsverkehr und Geschlechtsverkehr.
Als Basis diente die Berliner Altersstudie II (BASE II), deren Daten zwischen 2009 und 2013 erhoben wurden. Ins Visier der Forscher kamen damit 1514 Menschen im Alter zwischen 60 und 82 Jahren. Die Daten wurden mit denen einer Kontrollstichprobe von 475 jüngeren Erwachsenen zwischen 22 und 36 Jahren verglichen.
Bei Intimität keinen Alterseffekt
„Beim Sex spielt das Alter bei den Älteren eine größere Rolle als bei Jüngeren“, fasst Kolodziejczak die Ergebnisse zusammen. Das war für die Wissenschaftler keine große Überraschung. So konnten sie zeigen, dass die Abnahme zwischen 60 und 80 Jahren in erster Linie für sexuelle Aktivität und sexuelle Gedanken galt. „Für Intimität gab es verglichen damit nur einen ganz kleinen Unterschied zwischen Jung und Alt“, berichtet die Psychologin. „Es gab in diesem Punkt in beiden Gruppen praktisch keinen Alterseffekt.“ Bei den Senioren fanden die Wissenschaftler auch keinen Hinweis darauf, dass die Lust auf Sex ab einem ganz bestimmten Alter besonders rapide nachlassen würde.
Im Gegenteil: Fast ein Drittel der Studienteilnehmer zwischen 60 und 80 gab an, sexuell aktiver zu sein und mehr Gedanken an Sex zu haben als die junge Vergleichsgruppe. „Einmal mehr sehen wir hier große individuelle Unterschiede bei älteren Erwachsenen“, sagte Denis Gerstorf, Mitautor der Studie. Mehr Forschung dazu sei nötig - zum Beispiel dazu, welche Rolle Sexualität für das Wohlbefinden und gute Gesundheit im Alter spiele.
Fühlen sich die „Alten“ heute generell jünger
Belegt ist jetzt schon, dass der kleine Unterschied bleibt: So spielten in der Studie feste Partnerschaften zwar sowohl für ältere Männer als auch ältere Frauen eine Rolle, wenn es um Sexualität ging. Für Frauen über 60 waren sie bei der Lust auf Sex jedoch relevanter als für Männer, erläuterte Kolodziejczak. Bei Männern waren sexuelle Aktivität, Gedanken daran und Intimität nicht vorrangig an feste Partnerschaften gekoppelt. Solche Unterschiede gelte es noch weiter zu beleuchten.
Fühlen sich die „Alten“ heute generell jünger als früher - und spielt damit auch Sexualität eine größere Rolle für sie? Die Berliner Studie kann diese Frage ohne Vergleichsgruppen aus früheren Jahren nicht beantworten. Allerdings würden derzeit Daten einer niederländischen Studie ausgewertet, die es erlaube, Unterschiede zwischen 55- und 65-Jährigen von Anfang der 90er und Anfang der 2010er Jahre zu untersuchen, sagt Karolina Kolodziejczak. Erste Ergebnisse zeigten, dass Sexualität den später Geborenen etwas wichtiger sei als der Generation vor ihnen. Generell gebe es beim Thema Sexualität im Alter aber immer noch vergleichsweise wenig Forschung.