Impfpflicht für alle, die das Vakzin gespritzt bekommen dürfen? Daran scheiden sich die Geister. Foto: dpa/Patrick Pleul

Wie im Bund, so auch in der Landeshauptstadt: An der allgemeinen Impfpflicht für alle scheiden sich die Geister. Zwölf Politikerinnen und Politiker aus Stuttgart sagten uns, wie sie darüber denken.

Stuttgart - Deutschland rutscht wegen der Pandemie in eine immer stärkere Notlage – ist es da geboten, das vermeintlich drastischste Mittel zu ergreifen und eine allgemeine Impfpflicht für jedermann einzuführen? Wir haben eine Reihe von Kommunalpolitikern und Parteivorsitzenden in Stuttgart gefragt, ob sie für die verbindliche Spritze für alle eintreten – außer bei jenen Menschen natürlich, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen.

Amelie Montigel, Kreisvorsitzende der Grünen

Amelie Montigel sagt, das Impfen sei „der einzige Weg, wie wir Menschen schützen können, die sich nicht impfen lassen können“. Impfen sei auch deshalb ein notwendiger solidarischer Akt um die – bereits vor der Covid- Pandemie – völlig überlasteten Gesundheitsberufe nicht weiterhin diesen dramatischen Arbeitssituationen auszusetzen. Daher spreche sie sich für eine allgemeine Impfpflicht aus: „Nur wenn wir deutlich höhere Impfquoten haben, können wir in so etwas wie einen ,Normalzustand‘ zurückkehren.“ Dafür sei aber auch dringend der erneute Ausbau einer Impf-Infrastruktur notwendig.

Alexander Kotz, CDU-Fraktionschef im Rathaus

Alexander Kotz sagt, er sei wie seine Partei ein Freund von Freiwilligkeit. Man solle durch mehr und bessere Impfangebote mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger fürs Impfen gewinnen. Wenn dies zur Eindämmung der Pandemie nicht ausreiche, wonach es momentan leider aussehe, müssten die Freiheiten der Geimpften groß gehalten und die Einschränkungen der nicht Geimpften im privaten und öffentlichen Leben verstärkt werden. „Und wenn dies alles nicht ausreichen würde, um nachhaltig ein normales Leben für alle zurückzubekommen, dann darf eine allgemeine Impflicht als letztes Mittel auch kein Tabu sein.“

Thrasivoulos Malliaras, CDU-Kreisvorsitzender

Aus seiner Sicht „ist eine Impfpflicht falsch“. Er habe kein Verständnis dafür, wieso man sich nicht impfen lässt, aber es bleibt dennoch die freie und eigenverantwortliche Entscheidung eines jeden Einzelnen – mit allen damit verbundenen Risiken und auch konsequenten Beschränkungen. Anders sehe es bei bestimmten Berufsgruppen wie etwa medizinischem Personal aus. Dort könne man von einer unmittelbaren Gefahr für vulnerable Gruppen durch Ungeimpfte ausgehen. Die Freiheit des Einzelnen beschneide also unmittelbar die Freiheit Anderer. Hier braucht es daher sehr schnell eine Impfpflicht.

MdL Katrin Steinhülb-Joos, SPD-Kreisvorsitzende

Katrin Steinhülb-Joos und auch der Co-Vorsitzende Dejan Perc haben besonders im Blick, dass bei den über 60-Jährigen drei Millionen nicht geimpft seien. Daher wünschen sie sich wie die Bundes-SPD eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, „jedoch keine grundsätzlich berufsgruppenbezogene“. Somit auch keine allgemeine Impfpflicht. Damit Deutschland und auch Baden-Württemberg bei der Impfquote aufholen könnten, müsse der Turbo eingeschaltet und Aufklärung betrieben werden („in allen Sprachen, auch in den Schulen und an die Eltern gerichtet“). Es brauche Impfaufrufe auf allen Kanälen, persönliche und bequeme Impfangebote auch in Stadtquartieren und auf dem Gelände von Einkaufszentren.

Martin Körner, SPD-Fraktionschef im Rathaus

Martin Körner findet eine Impfpflicht für die Berufe richtig, die viel mit vulnerablen Gruppen arbeiten. Die Menschen in Alten- und Pflegeheimen und auch in Kitas müssten besonders geschützt werden. Eine allgemeine Impfpflicht für alle hält er für falsch und für nicht umsetzbar, auch nicht für erforderlich: „Wir brauchen keine 100-prozentige Impfquote. 80 bis 90 Prozent würden uns schon sehr helfen.“

Sibel Yüksel, FDP-Fraktionsvorsitzende im Rathaus

Sibel Yüksel befürwortet eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen, insbesondere im Pflegebereich. Allerdings sei vorab zu klären, inwieweit dies den Personalmangel noch massiv verschärfen könnte. Es sei unerträglich, dass Pflegeheim-Bewohner, die sich nicht einfach in ihre Wohnung zurückziehen und schützen könnten, von Pflegepersonal angesteckt werden und erkranken und sterben könnten. Der Staat habe hier eine Schutzfunktion, die in der Abwägung mit Sicherheit gewichtiger zu werten sei als der Wunsch des Einzelnen, nicht geimpft zu werden. Sollte sich die pandemische Lage verschlimmern, müsse man wohl eine allgemeine Impfpflicht diskutieren. Eine solche sei sogar – im Vergleich mit der Impfpflicht nur für bestimmte Berufsgruppen – weniger diskriminierend. Yüksel findet es „schon unerträglich, wie die Politik vor einer kleinen, lauten Gruppe von Impfverweigerern dermaßen einknickt“.

Gabriele Reich-Gutjahr, FDP-Kreisvorsitzende

Gabriele Reich-Gutjahr sagte, „eine allgemeine Impfpflicht wäre nicht nur aufgrund der Schwere des Eingriffs in die körperliche Selbstbestimmung verfassungsrechtlich hochproblematisch“. Sie wäre auch praktisch kaum durchsetzbar und würde vermutlich bei Einzelnen zur Eskalation führen. Die schon eingeführten Einschränkungen für Ungeimpfte führen ihrer Wahrnehmung nach bereits zu einer „deutlich höheren Impfbereitschaft“. Für Angehörige bestimmter Berufsgruppen sei die Impfpflicht zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen denkbar und zumutbar. Allerdings könne das die Zahl der Pflegekräfte reduzieren, das verbleibende Personal weiter belasten – und Ausfälle oder Kündigungen bewirken. Reich-Gutjahr: „Eine Impfpflicht muss stets der letzte Schritt sein, wenn der notwendige Schutz nicht durch andere Maßnahmen erreicht werden kann.“ Da auch Geimpfte ansteckend sein können, halte sie ein regelmäßiges Testen für die zielführendere Maßnahme.

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Konrad Zaiß, Fraktionschef der Freien Wähler im Gemeinderat

Da vor allem die Ungeimpften Treiber der Pandemie seien und sie das Gesundheitssystem über Gebühr belasteten, schließt Konrad Zaiß wie die Freie Wähler insgesamt eine Impfpflicht nicht generell aus. Sie solle zunächst aber nur in sensiblen Bereichen eingeführt werden, zum Beispiel in der Pflege, in Betreuungseinrichtungen und Schulen sowie im Gesundheitswesen. Zaiß: „Wir alle sollten froh darüber sein, dass es wirksame Impfstoffe gegen Covid-19 gibt. Die Impfung ist der einzige Weg aus der Pandemie.“

Thorsten Puttenat, Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft Puls

Angesichts der Schwere und Dauer dieser Pandemie hat Thorsten Puttenat persönlich nichts gegen eine Impfpflicht, sagte er, zumal das prinzipiell „nichts Neues“ wäre. Er würde eine Impfpflicht für Berufe, die besonders nah am Menschen sind, begrüßen. Ihn überzeuge nicht nur die von Fachleuten erklärte gesundheitliche Unbedenklichkeit der Impfungen. Auch der Aspekt der Solidarität gegenüber der Gemeinschaft spreche für eine „wie auch immer geartete Impfpflicht“.

MdB Dirk Spaniel, Sprecher der AfD Stuttgart

Dirk Spaniel und der Co-Sprecher Andreas Mürter meinen, bei einer Infektionskrankheit wie Covid-19 sei eine generelle Impfpflicht unverhältnismäßig. Der Fall sei anders gelagert als beispielsweise bei Masern, Pocken oder Ebola. Die Impfstoffe zu Covid-19 erzeugten keine Sterilität bei Geimpften. Das Risiko der Übertragung des Krankheitserregers sei damit auch bei Geimpften weiterhin gegeben. Eine generelle Impfpflicht sei ein erheblicher Eingriff in die Selbstbestimmung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die Stuttgarter AfD-Spitze: „Unabhängig von demokratischen Mehrheiten lehnen wir eine Impfpflicht daher ab.“

Hannes Rockenbauch (SÖS), Co-Sprecher des Linksbündnisses

Eine Impflicht lehnt auch der Sprecher des Linksbündisses ab, der aus dem Bürgerbündnis SÖS kommt. Grund: Rockenbauch möchte zwar eine solidarische Gesellschaft schaffen, und sich impfen zu lassen, sei tatsächlich ein Akt der Solidarität. Er befürchtet allerdings, dass mit der Einführung einer Impfpflicht, insbesondere wenn sie sich nur auf einzelne (Berufs-)Gruppen bezieht, die Spaltung der Gesellschaft weiter vorangetrieben, Gräben vertieft und „Trotzreaktionen mit Verweigerungshaltung“ verstärkt werden.

Laura Halding-Hoppenheit (Die Linke), Co-Sprecherin des Linksbündnisses

Die Linken-Stadträtin und Co-Sprecherin des Linksbündnisses zollt der rapiden Entwicklung der Pandemie Tribut und befürwortet eine Impfflicht für alle – mit Ausnahme von Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen. Laura Halding-Hoppenheit meint: Manchmal müsse man die Menschen zu ihrem Glück zwingen und sie würden vielleicht erst später erkennen, dass es der richtige Weg war, auch gegen ihren ursprünglichen Willen geimpft zu werden. Das individuelle Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ende da, wo andere in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit und eventuell sogar in ihrem Leben bedroht seien.