Die Ärzte an den Universitätskliniken sind besonders belastet. Foto: dpa/Waltraud Grubitzsch

Die Krankenhausärzte im Land sehen sich durch eine hohe Zahl befristeter Arbeitsverträge unter Druck gesetzt. Der Marburger Bund fordert die Wissenschaftsministerin auf, die Praxis an den Unikliniken zu verändern. Doch Theresia Bauer sieht dazu keinen Grund.

Stuttgart - Sylvia Ottmüller, der neuen Landesvorsitzenden des Marburger Bundes, reicht es: „Alarmierend“ nennt sie das Ergebnis einer gewerkschaftsinternen Umfrage, wonach gut 80 Prozent der Ärztinnen und Ärzte an den Universitätskliniken im Land nur befristet angestellt sind – während im pflegerischen Bereich um die drei Prozent der Arbeitsverträge befristet seien. Seit Jahren werde dem Marburger Bund zugesagt, dass die hohe Quote gesenkt werden solle – doch nichts geschehe. „Gerade in Zeiten des Ärztemangels kann man das nicht einfach so hinnehmen – es besteht akuter Handlungsbedarf“, mahnt Ottmüller.

Wissenschaftsministerin Bauer in die Pflicht genommen

Dabei könnte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) „mit einer einzigen Unterschrift die Zahl der unbefristet angestellten Ärzte von 20 auf 40 Prozent verdoppeln“, so Ottmüller. Dies sollte aber nur der erste Schritt eines von der Gewerkschaft geforderten Stufenplans sein. Als zweite Maßnahme sollten alle Krankenhäuser im Land Ärzte mit abgeschlossener Facharztweiterbildung unbefristet beschäftigen. In einem dritten Schritt wird die Entfristung sämtlicher ärztlicher Arbeitsverträge angemahnt. „Wenn unser Beruf attraktiv bleiben soll, muss der unbefristete Vertrag die Regel sein“, verlangt Ottmüller.

Der Umfrage zufolge hat mehr als die Hälfte (fast 55 Prozent) aller 2653 Teilnehmer einen befristeten Arbeitsvertrag. In konfessionellen und kommunalen Krankenhäusern ist es jeder zweite Befragte (jeweils 51 Prozent). Bei den privat geführten Häusern fällt hier die Befristungsquote mit knapp 40 Prozent halb so hoch aus wie im universitären Bereich. An den Unikliniken seien über zehn Jahre hinweg betrachtet lediglich knapp sechs Prozent der Umfrageteilnehmer gar nicht von der Befristung ärztlicher Arbeitsverträge betroffen gewesen.

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Nach Abschluss ihres Studiums absolvieren die meisten Mediziner eine Facharzt-Weiterbildung – trotz des Wandels am Arbeitsmarkt oft mit einer befristeten Anstellung. Neun von zehn befragten Ärzten in Weiterbildung haben derzeit einen befristeten Arbeitsvertrag. Nach Abschluss der Weiterbildung sinkt die Befristungsquote nur außerhalb des Unibereichs deutlich ab – sowohl für die Fachärzte als auch für die (Funktions-)Oberärzte. An einer Uniklinik muss sich selbst nach mehr 20 Jahren ärztlicher Tätigkeit noch jeder siebte Befragte mit einer befristeten Anstellung begnügen.

Vertragslaufzeiten kaum länger als drei Jahre

Die meisten der betroffenen Umfrageteilnehmer haben einen Vertrag mit einer Laufzeit zwischen ein und drei Jahren. Längere Laufzeiten von mehr als drei Jahren sind an Universitätskliniken selten. Dort erfolgt die Befristung in der Regel nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Der erforderliche Sachgrund ist nicht die Weiterbildung zum Facharzt, sondern die „eigene wissenschaftliche Qualifikation“. Demnach sei die befristete Beschäftigung nur dann zulässig, wenn die Qualifizierung damit einhergehe, so die Gewerkschaft. Dies sei den Angaben zufolge vielfach aber nicht gewährleistet, weil der Klinikalltag andere Ansprüche stellt.

„Klarer Missbrauch des Gesetzes“

Neun von zehn der auf Grundlage des Gesetzes befristet angestellten Ärzte sehen im Dienstplan keine Zeit für die wissenschaftliche Fortbildung vorgesehen – diese müsse nach Dienstschluss nebenbei stattfinden. Dass die Ärzte hauptsächlich mit der Patientenversorgung ausgelastet seien, „ist für uns ein klarer Missbrauch des Gesetzes“, rügt der zweite Landesvorsitzende Jörg Woll, selbst Gynäkologe an der Uniklinik Freiburg. Die hohe Befristungsquote sei unverständlich – auch das Gesetz erlaube eine unbefristete Anstellung. Dies würde das Land „keinen einzigen Euro“ kosten. Er erinnerte daran, dass Ministerin Bauer im Juni eine Abkehr von der Befristungspraxis im wissenschaftlichen Bereich angemahnt hätte. „Getan hat sich gar nichts.“

Das Land begründet dieses Vorgehen mit der Notwendigkeit, wissenschaftliche Stellen für nachfolgende Generationen freizuhalten. „Das mag an kleinen Fakultäten so sein“, sagt Woll. In Freiburg zum Beispiel mit mehr als 1200 Ärzten sei dies aber eine „andere Nummer“. Dort sei mitnichten davon auszugehen, dass jeder entfristete Arzt bis zur Rente auf seiner Stelle ausharrt.

Hoher Druck im Arbeitsalltag und Privatleben

Im Arbeitsalltag steigt durch diese Praxis der Druck: Etwa 60 Prozent der befristet an einer Uniklinik angestellten Ärzte fühlen sich dadurch gehemmt, Probleme wie die hohe Arbeitsbelastung offen anzusprechen. Woll spricht von einem „eleganten Instrument der Mitarbeitersteuerung“ – wer vor der Vertragsverlängerung stehe, überlege es sich dreimal, ob er Überstunden ablehnt oder medizinische Entscheidungen des Vorgesetzten offen hinterfragt. So verhinderten derlei Verträge eine offene Fehlerkultur.

Im Privatleben nähmen die Betroffenen ebenfalls Nachteile der Befristung wahr, zum Beispiel bei der Familienplanung oder der Immobilienfinanzierung. Somit hat rund die Hälfte der aktuell oder in den vergangenen zehn Jahren befristet angestellten Uniklinik-Ärzte der Umfrage zufolge schon einen Stellenwechsel in Erwägung gezogen – jeder Zehnte sogar eine Abkehr vom Arztberuf.

Ministerium verteidigt die aktuelle Praxis

Das Wissenschaftsministerium verteidigt die Regelungen: Befristungen beruhten auf dem Auftrag der Universitätskliniken, neben der Krankenversorgung die Wissenschaft voranzubringen, ein Motor der Innovation zu sein sowie junge Ärztinnen und Ärzte auszubilden, erläutert ein Sprecher von Ministerin Bauer gegenüber unserer Zeitung. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, müssten regelmäßig junge Kräfte an die Aufgaben qualifiziert werden, um zur Weiterentwicklung der Medizin an den unterschiedlichen Stellen beizutragen. „Die Ressourcen der Ausbildung wären mit einem überwiegend unbefristet angestellten Personalkörper weitgehend erschöpft.“

Vor diesem Hintergrund seien Assistenzärztinnen und -ärzte, die einen Großteil des ärztlichen Personals ausmachen, grundsätzlich nicht unbefristet angestellt. Auch auf Facharztebene sei ein dauerhafter Verbleib am Uniklinikum in der Regel nicht vorgesehen. „Anders verhält es sich bei Oberärztinnen und -ärzte, wo der Anteil der Befristungen deutlich verringert ist“, so der Sprecher. „Eine Durchschnittsbetrachtung über alle Ärztinnen und Ärzte hinweg macht deshalb wenig Sinn.“

Es sei zwar eine permanente Aufgabe, den Auftrag der Unikliniken und den Bedarf des Versorgungssystems insgesamt mit dem legitimen Interesse einer gesicherten Zukunftsplanung etablierter Fachkräfte in Einklang zu bringen. Doch „erfüllt die geschilderte Praxis diese Anforderungen gut“. Dass die Qualität einer guten Versorgung für die Bevölkerung und die Patientensicherheit darunter leide, sei nicht erkennbar. „Im Gegenteil: Die Universitätsmedizin hat in der Pandemie ihre hohe Kompetenz und Funktionsfähigkeit bewiesen“, betont das Wissenschaftsministerium.

Proteste im November geplant

Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, plant der Ärzteverband für den November dennoch zeitgleich Protestaktionen an allen Unikliniken im Land – zudem für 2022 eine zentrale Kundgebung.

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