2021 gab es einen Höchststand bei den Kirchenaustritten. (Symbolbild) Foto: IMAGO/Winfried Rothermel

In Deutschland denken viele Menschen über einen Kirchenaustritt nach, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Vor allem Katholikinnen und Katholiken tragen sich mit dem Gedanken, ihre Kirche zu verlassen.

Jedes vierte Kirchenmitglied in Deutschland denkt einer Umfrage zufolge über einen Austritt nach. Unter ihnen bilden Katholikinnen und Katholiken mit zwei Dritteln eine deutliche Mehrheit. Das zeigt der am Donnerstag veröffentlichte Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh.

81 Prozent aller Austrittswilligen gaben an, sie hätten wegen Skandalen ihr Vertrauen in religiöse Institutionen verloren. „Hier schlagen sich vermutlich die Missbrauchsskandale und die geringe Reformbereitschaft der römischen Kurie nieder“, sagte der Stiftungsexperte für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Stephan Vopel.

Vor allem jüngere Mitglieder wollen austreten

Eine feste Absicht zum Austritt bekundete jedes fünfte Kirchenmitglied. Je jünger die Altersgruppe, desto häufiger äußerten die Befragten diesen Willen. So waren es 41 Prozent unter den 16- bis 24-Jährigen, 35 Prozent unter den 25- bis 39-Jährigen, rund 20 Prozent unter den 40- bis 54-Jährigen sowie den 55- bis 69-Jährigen und 5 Prozent unter den 70-Jährigen und Älteren.

92 Prozent der Menschen mit Austrittswunsch stimmten der Aussage zu, man könne auch ohne Kirche Christ sein. Dies bejahten zudem 84 Prozent der Mitglieder, die in der Kirche bleiben wollen. „Hier zeigt sich: Die Gleichung ‚religiös gleich kirchlich’ gilt für sehr viele Menschen nicht mehr“, erklärte Religionsexpertin Yasemin El-Menouar.

Höchststand bei Austritten

Die Studie betrachtet auch die religiöse Selbsteinschätzung von Menschen im Zeitverlauf. Während vor zehn Jahren fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) sagten, sie glauben stark an Gott, sind es heute noch 38 Prozent. 25 Prozent glauben mittlerweile gar nicht mehr an Gott; vor zehn Jahren waren es 21 Prozent. Als überhaupt nicht religiös bezeichnet sich heute jeder Dritte (33 Prozent) - eine Zunahme um zehn Prozentpunkte. Hingegen sank der Anteil an Menschen, der sich als sehr religiös bezeichnet, von 20 auf 16 Prozent. 14 Prozent besuchen mindestens einmal im Monat einen Gottesdienst - ein Rückgang um 6 Prozentpunkte.

In Deutschland gehören rund 41 Millionen Menschen der katholischen und evangelischen Kirche an. 2021 sank ihr Anteil erstmals auf unter 50 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig erreichten die Kirchenaustritte einen Höchststand mit rund 639.000 Personen.

Erinnerung an die Leistungen der Kirche

Nach Ansicht der Bertelsmann-Stiftung verändert sich der gesellschaftliche Stellenwert der Kirche, was auch die historisch gewachsene Zusammenarbeit mit dem Staat betreffe. Vopel stellte die Frage, wie auch anderen Religionsgemeinschaften mehr Rechte und Pflichten zu übertragen seien - etwa bei der Wohlfahrtspflege oder im Bildungsbereich. „Eine zeitgemäße, moderne Religionspolitik muss der religiös-weltanschaulichen Vielfalt Rechnung tragen, die sich längst als gesellschaftliche Normalität etabliert“, forderte er.

Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa erinnerte an die Leistungen des katholischen Sozialverbands, etwa in Altenheimen, Kindergärten und Beratungsstellen. Aber: „Mir ist bewusst, dass hundert Angebote der Caritas nicht aufwiegen können, was an Verletzung entstanden ist und an Entfremdung von einer Kirche, die sich der Weihe von Frauen verschließt und in deren 1.000 Jahre alten Talaren sexuelle Unterdrückung mancherorts ein sicheres Versteck gefunden hat.“

Thierse warnt

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte: „Das Überleben der Kirchen ist wichtig für das Überleben der Demokratie.“ Gegenüber Zeit Online warnte der engagierte Katholik vor einer „allgemeinen Geringschätzung von Institutionen“ in der heutigen Gesellschaft. „Wir leben in einem Land, das historisch christlich geprägt ist“, betonte der Politiker.

Für den Religionsmonitor befragte das Institut Infas im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung vergangenen Sommer 4.363 Menschen in Deutschland und weitere 6.294 Menschen in den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen sowie den USA. Laut Angaben handelt es sich um eine repräsentative Erhebung.