Erschöpfte Vorkommen und Widerstand gegen Fracking haben die Erdgasförderung in Deutschland jahrelang begrenzt. Nun will die Branche doch wieder mehr heimische Förderung – um schneller von russischen Importen unabhängig zu werden.
Die deutsche Gas- und Ölbranche sieht neben den geplanten Flüssigerdgas-Terminals die heimische Förderung als ergänzenden Baustein, um möglichst rasch unabhängig von russischen Energierohstoffen zu werden. Die Inlandsproduktion ist zwar schon länger rückläufig. Man müsse sie bei der Suche nach alternativen Quellen nun aber stärker berücksichtigen, forderte der Chef des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), Ludwig Möhring, am Mittwoch: „Unser Ziel ist es, die Produktion auf dem aktuellen Niveau zu halten und idealerweise sogar leicht auszubauen. Dieser Wert an Versorgungssicherheit muss erkannt und gehoben werden.“
Das Ausrufen der Frühwarnstufe beim Notfallplan Gas hielt Möhring für sinnvoll. Er betonte jedoch: „Dies ist nur ein erster Schritt, eine Vorsichtsmaßnahme.“ Es gehe zunächst darum, dass Pipeline-Betreiber und Behörden „die Informationsflüsse im Griff haben“, sollte sich die Versorgungslage verschärfen. So werden in den Netzen jetzt Puffer geprüft, verfügbare Transportkapazitäten sollen maximal nutzbar sein.
Klar sei im Verhältnis zu Russland als Rohstoffgroßmacht indes schon heute: „Wir werden nicht zum vorherigen Zustand zurückkehren.“ Der Verbandschef sagte, es stehe außer Frage, dass sich ganz Europa in der Energiepolitik fundamental umorientieren müsse. Der BVEG - eine Vereinigung von 78 Unternehmen mit knapp 7700 Beschäftigten mit Sitz in Hannover - schlug einen „Schulterschluss mit der Bundesregierung, den relevanten Bundesländern und den zuständigen Fachbehörden“ vor.
Nur ein kleiner Teil des Verbrauchs lässt sich aus Deutschland decken
Noch ist Deutschland hochgradig abhängig von importierter Energie. Seit dem Angriff auf die Ukraine sei nichts mehr wie zuvor, erklärte Möhring: „Die Versorgungsstrukturen sind erschüttert.“ Drei Viertel der Gasexporte Russlands gingen bisher nach Europa. In Norwegen und Katar war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unterwegs, um Verträge für weiteres oder verflüssigtes Erdgas (LNG) auszuloten.
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„Wir müssen uns auf eine Energieversorgung ohne oder mit sehr viel geringeren russischen Importmengen einstellen“, betonte Möhring. Zum einen führe dabei nichts an einem Umschwenken auf LNG vorbei. „Wir können auf ein hervorragendes Netz vertrauen - und damit auf den Zugang zu den vorhandenen Terminals in Nordwesteuropa.“ Andererseits sei eine schnelle Umsetzung der Pläne für eigene deutsche Terminals wichtig, die etwa in Wilhelmshaven oder Brunsbüttel entstehen sollen. Der internationale Wettbewerb dürfte intensiv werden, schätzte Möhring: „Auch andere Länder haben ja große Gasmengen zu ersetzen.“
Die deutsche Inlandsförderung könne die drohende Lücke zumindest zu gewissen Teilen abdecken. Über viele Jahre sank die Eigenproduktion jedoch. 2021 wurden rund 5,2 Milliarden Kubikmeter Gas gefördert, das allermeiste in Niedersachsen. Es war in etwa der Wert des Vorjahres, 2019 hatte das Volumen 6,1 Milliarden Kubikmeter betragen. Nur gut fünf Prozent des deutschen Verbrauchs lassen sich damit sichern.
Deutsche Fördermengen von Öl und Gas stark gesunken
„Vor 20 Jahren haben wir noch 20 Milliarden Kubikmeter gefördert“, sagte Möhring. „Der Trend scheint damit klar: Es wird weniger.“ Gleichzeitig bezog die Bundesrepublik nach Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zuletzt über die Hälfte ihres Erdgasbedarfs aus Russland, die Eigenförderung war von 2015 bis 2020 im Schnitt weltweit auf Platz 48. Weitere wichtige Lieferanten sind Norwegen (gut 20 Prozent) und die Niederlande (etwa 11 Prozent).
An den deutschen Öleinfuhren hatte Russland 2021 einen Anteil von rund 34 Prozent. Die deutsche Eigenförderung von Erdöl sank laut dem Branchenverband im vergangenen Jahr von 1,9 auf 1,8 Millionen Tonnen.
„Es wird nicht die eine Lösung geben können“, warnte Möhring zur Lage beim Gas. Für den kommenden Winter müssten kurzfristig „erhebliche zusätzliche Mengen beschafft werden“. Fast 27 Prozent der hierzulande verbrauchten Primärenergie stammt noch aus Erdgas. „Wir sind daher gut beraten, sämtliche Ressourcen ernst zu nehmen.“ Das könne die Versorgung verbessern und auch helfen, die Preise etwas zu drücken.
Womöglich stünde Deutschland anders da, wäre der gesellschaftliche Widerstand gegen Fracking-Projekte nicht so groß gewesen, glaubt der Verband. „Die Realität lautet: Fracking ist hier aktuell nicht anerkannt“, sagte Möhring. Gespräche zu neuen Vorhaben gebe es nicht. Aber Erdgas sei als „Brückenträger“ wichtig, um die Energiewende zu stützen - und auch als Ressource für die Erzeugung von Wasserstoff.