Demonstranten ziehen im Mai vom Karlsplatz in die Stadtmitte – eine von vielen Demos der ukrainischen Community in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Wie hält man die Aufmerksamkeit für den Krieg in der Ukraine wach? Die ukrainische Community in Stuttgart zeigt ein besonders großes Engagement. Nicht nur jetzt am Unabhängigkeitstag, sondern Woche für Woche.

Seine Wochenenden sind verplant. So wie andere Leute regelmäßig Sport machen oder das Auto waschen oder ins Kino gehen, so geht Denis Zipa regelmäßig demonstrieren. Man könnte ihn einen Berufsdemonstranten nennen, tatsächlich aber ist er ein Demonstrant aus Berufung. Allerdings erst seit einem halben Jahr, exakt seit dem 24. Februar, dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Zuvor hatte der 35-Jährige in Deutschland ein ganz normales Leben geführt. Geboren ist er in Kiew. 1995 zog seine Familie nach Deutschland, in die Nähe von Heilbronn. Hier ist er aufgewachsen, hier hat er studiert, hier betreibt der gelernte Softwareentwickler ein kleines Unternehmen.

Seit dem 24. Februar ist jedoch vieles anders. Der Krieg hat das Leben von Denis Zipa verändert, hat ihn, einen ruhigen jungen Mann, der soziale Medien bewusst gemieden hat, in die Öffentlichkeit treten lassen. Zusammen mit anderen hat Zipa es sich zur Aufgabe gemacht, die Aufmerksamkeit auf die Ukraine zu lenken und auf das, was dort fortgesetzt passiert.

Er ahnte, dass das schwer sein würde. Unter dem Eindruck des Kriegsausbruchs waren anfangs Tausende Menschen zu einer Demonstration auf den Wilhelmsplatz geströmt, der bisher größten Ukraine-Demo überhaupt. Auch Denis Zipa war dabei und machte sich Gedanken, wie der Protest verstetigt werden könnte. Wenige Tage später ging er mit einer Holztafel in die Stadt und bat Leute, auf die Tafel zu schreiben, was man tun könne, um den Krieg zu beenden. Auch Landtagspräsidentin Muhterem Aras wurde darauf aufmerksam und half, die Aktion auf Social Media zu verbreiten.

Die Demos werden kleiner, doch der Rückhalt ist groß

Bald darauf hatte Denis Zipa für sich entschieden, was zu tun ist: nämlich demonstrieren. Und das regelmäßig, um zu verhindern, „dass der Krieg in Vergessenheit gerät und damit das Kalkül Russlands aufgeht“.

Für ihn und seine Mitstreiter vorwiegend aus der ukrainischen Community ist damit eine enorme Kraftanstrengung verbunden. Seit April organisiert ein Team von etwa 20 Leuten an nahezu jedem Wochenende eine Ukraine-Demo, mal auf dem Schlossplatz, mal auf dem Wilhelmsplatz. Sie werden wahrgenommen; auch in den ukrainischen Medien sei darüber berichtet worden, sagt Zipa. Häufig enden die Kundgebungen vor dem Schauspielhaus, an dessen Fassade eine große ukrainische Fahne prangt. Dieser Ort ist bewusst gewählt, denn Zipa und den anderen geht es darum, den Krieg von verschiedenen Seiten aus zu beleuchten und dabei die Frieden stiftende Kraft der Kultur zu betonen.

Das Ganze erfordert eine erhebliche Logistik: „Wir sind auf Technik angewiesen, brauchen Übersetzer und Leute, die uns bei der Organisation unterstützen“, sagt Zipa. Der Rückhalt und die Sympathien in Stuttgart seien groß, auch wenn die Zahl der Demonstranten inzwischen bröckelt. „Das war uns bewusst“, sagt er. Zwischen 300 und 500 Leute würden jetzt noch teilnehmen. Durch Aktionen und Performances, die die jeweils aktuellen Ereignisse in der Ukraine beleuchten, versuchen sie, das Interesse wachzuhalten.

Die Motivation und die Energie dafür ziehen sie aus dem anhaltenden „Schock über den Krieg“ und aus einem unerschütterlichen Glauben an den Sieg. „Die Ukraine wird gewinnen, hundertprozentig“, sagt Zipa. Die Menschen dort würden den Wert von Unabhängigkeit und Freiheit schätzen. Dafür würden sie alles geben. So wie er es auf seine Weise in Stuttgart und in Heilbronn tut, wo er ebenfalls Demos mitorganisiert.

„Wir stehen auch im Winter da““

Für diesen Mittwoch, dem Unabhängigkeitstag der Ukraine, hat das Team um Denis Zipa eine große Veranstaltung auf dem Karlsplatz auf die Beine gestellt. Mit Workshops für Kinder, einer Ausstellung mit Werken ukrainischer Künstlerinnen und Künstler, mit Reden und mit Musik. Aufmerksamkeit dürfte ihnen sicher sein. Und auch künftig wird man den Demonstranten in der Stadt begegnen. Sie haben einen langen Atem: „Unsere Demonstrationen gehen weiter. Wir werden auch im Winter dastehen“, sagt Denis Zipa leise, aber bestimmt.

Info

Veranstaltung
Gemeinsam unter anderem mit der Bürgerbewegung Pulse of Europe begeht die ukrainische Community in Stuttgart an diesem Mittwoch, 24. August, auf dem Karlsplatz den Unabhängigkeitstag der Ukraine, der sich zum 31. Mal jährt. Gleichzeitig wird an den Beginn des russischen Überfalls vor exakt sechs Monaten erinnert. Die Veranstaltung beginnt um 14 Uhr. Ein umfangreiches Bühnenprogramm startet um 17 Uhr. red