Russische Ermittler sammeln in Moskau Teile einer Drohne ein Foto: IMAGO/ITAR-TASS/Alexander Shcherbak

Nach einer Drohnenattacke auf Wohnhäuser in Moskau spricht das russische Verteidigungsministerium von einem „Terrorakt des Kiewer Regimes“.

Die Aufnahme, die am Dienstagmorgen in russischen Telegram-Kanälen zirkuliert, zeigt eine Drohne, die über das Haus eines Filmenden in der Region Moskau fliegt. „Guten Morgen, f***!“, sagt seine Stimme, die Aufnahme wird schwarz.

Es ist in der Tat ein Erwachen, eine Art Test, bei dem die Russinnen und Russen praktisch riechen sollen, wie sich Krieg anfühlt, den sie seit mehr als 15 Monaten offiziell „militärische Spezialoperation“ zu nennen pflegen und den sie als etwas über sie von außen Hereingebrochenes hinnehmen. „Warum dürfen die Russen die ukrainische Hauptstadt in einen Alptraum verwandeln und die Bewohner Moskaus sich ausruhen?“, hatte der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko am Vorabend im ukrainischen Internetmedium „Strana“ gefragt. In der Nacht auf Dienstag stand Kiew abermals unter schwerem Beschuss der russischen Armee. Wenige Stunden später waren einige Moskauer Straßen von Polizei, Feuerwehr und Geheimdienst umstellt. Im Südwesten Moskaus – hier finden sich bis zu 25 Etagen hohe Wohnblöcke, viele Schulen und Shoppingmalls – stauten sich die Autos, wie es kaum passiert in den frühen Morgenstunden eines Werktages.

„Terrorakt des Kiewer Regimes“

Das russische Verteidigungsministerium sprach von einem „Terrorakt des Kiewer Regimes“, Belege dafür legte es nicht vor. Der Kremlsprecher Dmitri Peskow sah die Attacke als „Antwort des Kiewer Regimes“ auf einen russischen Angriff „auf eines der Entscheidungszentren“ in der Ukraine am 28. Mai, wie er es nannte. Um welchen Angriff es sich gehandelt haben soll, präzisierte er nicht. Der Kreml sieht sich durch den Drohnenangriff weiterhin darin „bestätigt“, die „Spezialoperation fortzuführen und die gesetzten Ziele zu erreichen“. Für Moskau und seine Bewohner sah Peskow „keine Gefahr“. Kiew hat die Beteiligung an der Drohnenattacke zurückgewiesen und mit Spott reagiert: „Womöglich wollen russische Drohnen ja zu ihren Absendern zurück“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak in einer YouTube-Sendung des unabhängigen russischen Journalisten Alexander Pljuschtschew.

Acht Drohnen sollen laut Moskau eingesetzt worden seien. „Drei davon haben die Kontrolle verloren und waren von den angestrebten Zielen abgewichen“, hieß es in einer Pressemitteilung des russischen Verteidigungsministeriums. Fünf weitere Drohnen seien von der Flugabwehr abgeschossen worden. Manche unbestätigten Quellen nannten bis zu 32 Flugobjekte. Einer der Orte, an dem eine offenbar abgeschossene Drohne abstürzte und explodierte, befindet sich nur wenige Kilometer Luftlinie von Nowo-Ogarjowo entfernt, der Vorstadt-Residenz des Präsidenten Wladimir Putin.

„Mobilisierung aller Kräfte“ gefordert

Der Moskauer Bürgermeister beschwichtigte. Kaum waren die ersten Trümmer der Drohnen in den Straßen Moskaus gefunden und die Anwohner der umliegenden Häuser evakuiert worden, schrieb er in seinem Telegram-Kanal von „geringfügigen Schäden“. Der Duma-Abgeordnete Andrej Kartapolow, im Parlament für Verteidigung zuständig, rief zur Ruhe auf. Die Attacke sei eine „Informationsaktion des Gegners, um Angst zu säen.“ Der Duma-Vizesprecher Pjotr Tolstoj, ein furioser Kriegsbefürworter, forderte die „Mobilisierung aller Kräfte“. Um den „Beschuss Moskaus“ zu stoppen, müsse man „Kiew einnehmen“.

Wo die Drohnen starteten und um welche Typen es sich genau handelt, lässt sich derzeit nicht sicher sagen. Das Ziel allerdings ist eindeutig: Die Angriffe sollen für Unsicherheit in der russischen Bevölkerung sorgen – wie bereits der Drohnenangriff auf den Kreml vor vier Wochen. Ins Bewusstsein vieler Menschen aber gelangt die Gefahr nicht. „Ich verstehe gar nicht, warum uns das trifft“, sagt eine Anwohnerin, die das russische Staatsfernsehen in den Nachrichten zeigt. Im Zentrum der Stadt flanieren die Menschen gelassen durch die Sonne. „Ich habe mit Politik nichts zu tun“, sagen sie. Oder: „Das ist alles weit weg von mir.“