Rund 250 Teilnehmer haben sich versammelt. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Vor einem Jahr ergaben sich die letzten ukrainischen Kämpfer im Asowstal- Stahlwerk. Viele sind noch in russischer Kriegsgefangenschaft. Für sie hat die Ukraine-Demo Stuttgart eine Kundgebung veranstaltet.

„Do-Dom, Do-Dom ...“ Laut hallt der Herzschlag von den Treppen des Stuttgarter Rathauses. Dazu knien Menschen in weißen Kutten und Kopfhauben mit blutigroten Spuren. „32 Jahre, ich vermisse ihn sehr“, sagt eine Frauenstimme aus dem Off, Salven eines Maschinengewehrs rattern, eine Kinderstimme schreit „Dadu“, also „Papa“.

Die eindrückliche Performance von ukrainischen Aktivistinnen und Aktivisten aus Schwäbisch Gmünd eröffnen die Kundgebung auf dem Marktplatz. Dort versammeln sich die 250 Teilnehmenden der Ukraine-Demo Stuttgart, nachdem sie von der Kronprinzstraße über Theodor-Heuss-Straße los zogen. Grund: Vor einem Jahr ergaben sich die letzten ukrainischen Kämpfer, die das Asowstal-Werk, damit den letzten Posten der Stadt Mariupol verteidigten, den russischen Angreifern – nach 86 Tagen, 82 davon waren sie vollständig umzingelt waren.

„Nach Angaben der russischen Seite verließen 2.439 Soldaten die Kerker von Azowstal. Vertreter des Roten Kreuzes registrierten die ukrainischen Verteidiger als Kriegsgefangene“, so eine Demo-Rednerin. Doch das Versprechen Russlands an das Internationale Rote Kreuz und die UNO, diese in vier Monaten auszutauschen, sei nicht erfüllt worden. Der letzte Gefangenenaustausch fand im April statt. „Nach Angaben der Vereinigung der Familien der Verteidiger von Asowstal befinden sich derzeit mehr als 1.900 Verteidiger in Gefangenschaft.“ Darauf weist auch Alexanders zerrissenes Plakat hin. Während der Demo habe ihn ein Mann auf Russisch beschimpft, es zerstört, so der Böblinger.

Laut Polizei wird es eine Anzeige wegen politisch motivierter Sachbeschädigung geben. Sonst sei alles friedlich verlaufen. Wie auf dem Marktplatz, wo mit Verve die ukrainische Hymne gesungen wird. Vortragende erzählen von den Gefangenen, geben ihnen so ein Gesicht. An einem Stand sind Fotos von Kriegsgräueln zu sehen, aufgenommen von Journalisten und Filmemacherinnen. Die zehntgrößte Stadt der Ukraine sei nach monatelanger Belagerung dem Erdboden gleich, sagt Konstantin Eisel von Amnesty International Stuttgart.

Die Befürchtung, die Kriegsgefangenen würden durch Russland besonders brutal behandelt, habe sich bestätigt. Die russische Regierung versuche ihre Geschichtsfälschung durch Scheinprozesse gegen ukrainische Kriegsgefangene zu untermauern – ohne Beweise vorzulegen. „Die Übertragung der Rechtsprechung an ein international nicht anerkanntes Gericht ist selbst eine Verletzung des humanitären Völkerrechts.“ Amnesty International trete für unabhängige und umfassende Ermittlungen und die Bestrafung der Täter ein. „Ein hoffnungsvolles Zeichen ist der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den russischen Präsidenten Putin wegen des Kriegsverbrechens der Verschleppung von Kindern.“