Der ukrainische Oppositionspolitiker Vitali Klitschko (links) wurde am Sonntag bei Protesten mit einem Feuerlöscher besprüht. Foto: dpa

Blutige Gewalt und Chaos herrschen in Kiew. Weil die Opposition um Ex-Boxweltmeister Klitschko gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch keinen Stich landet, eskaliert die Lage.

Blutige Gewalt und Chaos herrschen in Kiew. Weil die Opposition um Ex-Boxweltmeister Klitschko gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch keinen Stich landet, eskaliert die Lage.

Kiew - Wie nach einem verlorenen Kampf sieht Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko nach der bisher blutigsten Schlacht von Kiew aus. Der 42-Jährige versuchte noch, zornige Oppositionelle bei ihrem Sturm auf das Regierungsviertel zu bremsen. Doch mit einem Feuerlöscher vertrieben ihn die Regierungsgegner, um dann mit Knüppeln auf die Polizei loszugehen. Es waren die radikalsten Kräfte der prowestlichen Opposition, die nach zwei Monaten der Proteste in eisiger Kälte endlich Ergebnisse sehen und handeln wollten. Aber der geforderte Machtwechsel ist nicht in Sicht.

In dem seit November brodelnden Konflikt sind Klitschko und andere Führer der zersplitterten Opposition jetzt selbst zwischen die Fronten geraten. Die vor allem jungen Radikalen beklagen, die Oppositionspolitiker hätten keine Antwort auf die immer neuen Repressalien der prorussischen Führung. Und sie seien zu nachsichtig mit dem moskautreuen Präsidenten Viktor Janukowitsch.

Der Staatschef - wie Klitschko ein Zwei-Meter-Hüne - reagiert bisher kaum auf den kochenden Volkszorn im Zentrum der Stadt. Zwar veranlasst er nach einem Treffen mit Klitschko, dass eine Krisenkommission gegründet wird - teilnehmen daran will er aber nicht. Auch deshalb bleibt die Lage in Kiew gespannt.

Das Löschwasser an den ausgebrannten Polizeifahrzeugen, Bussen und Autos ist am Montag zu Eiszapfen gefroren. Der Rauch von Blendgranaten und Tränengas am Dynamo-Stadion hat sich verzogen. Die Skelette der Karossen und Klitschkos vom Feuerlöschpulver weißes Gesicht - es sind Bilder wie nach einem Bürgerkrieg. Die traurige Bilanz der „blutigen Revolte“: 200 Verletzte, einige von ihnen verloren Augen, einige erlitten schwere Brüche, Platzwunden und Schädelhirnverletzungen, einem wurde die Hand abgerissen.

Die gewaltbereiten Regierungsgegner, die auch Klitschko zusetzten, nennen sich „Selbstverteidigungskräfte des Maidan“. Aber der zentrale Unabhängigkeitsplatz hat seine Symbolkraft als Ort friedlicher Demonstrationen nun verloren. Es sind rechte Schläger, Neonazis und Fußballhooligans, die gewalttätig werden. Behörden betonten auch, dass unter den Festgenommenen verurteilte Schwerverbrecher seien.

Schuld an der Gewalteskalation hätten beide Lager

Der Oppositionspolitiker Juri Luzenko warnte in einer kraftvollen Rede, dass Blutvergießen und Bürgerkrieg keine Lösungen des Konflikts seien. Das Land drohe zu zerfallen - in den prorussischen Osten und Süden einerseits und den Westen mit seiner europäischen Ausrichtung andererseits.

Die Lage eskalierte auch, weil das ukrainische Parlament in der vorigen Woche ohne Debatte in 20 Minuten wie aus heiterem Himmel mehrere Gesetze gegen Regierungsgegner verabschiedete. Die „Knebel-Gesetze“ seien eine bloße Kopie umstrittener Regeln, wie sie in Russland und Weißrussland gelten, kritisierten Experten - Janukowitschs endgültige Abkehr von der EU und dem Westen.

Damit wolle sich Janukowitsch jetzt ganz im Sinne von Kremlchef Wladimir Putin als souveräner Herrscher profilieren und den Machterhalt sichern, meinten Kommentatoren in Moskau. Putin gewährte der klammen Ukraine zuletzt Milliardenhilfen, damit Janukowitsch nach der Präsidentenwahl 2015 im Amt bleibt, wie etwa die Moskauer Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ schrieb.

Dass nun das Protestlager in Kiew tief in Gewaltbereite und Friedfertige gespalten ist, dürfte Janukowitsch eher in die Hand spielen. Denn einen echten Anführer, der die zersplitterte Opposition einen und zu einem Sieg führen könnte, gibt es bisher nicht. Die seit Wochen dauernde Pattsituation zwischen Regierung und Opposition sei einfach explodiert, kommentierte die Kiewer Zeitung „Segodnja“. Deshalb habe jetzt der „Krieg gegen die Regierung“ begonnen.

Schuld an der Gewalteskalation hätten beide Lager, sagte der Politologe Wadim Karassjow. „Die gewaltsamen Aktionen beim Dynamo-Stadion diskreditieren den Maidan und die Opposition. Das ist das Ende der friedlichen Phase und des Maidans selbst“, betonte er. Die Regierung könne nun mit aller Härte vorgehen und die Proteste gewaltsam beenden.