Junge Leute helfen als Freiwillige in der vom Unwetter heimgesuchten Stadt Cesena. Man nennt sie „Angeli del Fango“ – Engel des Schlammes. Foto: AFP/Alessandro Serrano

In den Überschwemmungsgebieten der Emilia-Romagna in Italien hat es aufgehört zu regnen. Die Lage bleibt aber kritisch.

Endlich. Nach dem tagelangen, sintflutartigen Regen kehrte in der Emilia-Romagna am Sonntag die Sonne zurück. Die Front mit dem Starkregen hatte sich am Freitag und Samstag in Richtung Nordwesten verschoben, in die Lombardei und ins Piemont. Auch dort schwollen die Flüsse bedrohlich an, bei Piacenza verfünffachte sich die Wasserführung des Po von 500 auf 2500 Kubikmeter pro Sekunde. Die Lage blieb unter Kontrolle, während in der Emilia-Romagna das Wasser langsam endlich wieder abfloss.

Die italienischen Behörden hielten die höchste Alarmstufe aufrecht: Wegen des mit Wasser gesättigten Bodens bleibt in den Hügelzonen die Gefahr von Erdrutschen weiterhin sehr hoch. In der Po-Ebene stand das Wasser außerdem zum Teil immer noch meterhoch, vor allem rund um Ravenna. Das liegt daran, dass rund um Ravenna, im „Holland Italiens“, einige Gebiete unter dem Meeresspiegel liegen – dort müssen noch Millionen Kubikmeter Wasser abgepumpt werden.

Die „Engel des Schlammes“ helfen, den Schlamm aus den Häusern zu schaufeln

Zurückgekehrt sind auch die „Angeli del Fango“, die Engel des Schlammes: Tausende Jugendliche und junge Erwachsene haben sich in den Überschwemmungsgebieten hohe Gummistiefel übergezogen, um den Flutopfern dabei zu helfen, den Schlamm aus ihren Häusern zu schaufeln und die Straßen von Schwemmholz und anderen Verkehrshindernissen zu befreien.

Die „Angeli“, die sich meist über die sozialen Medien verabreden und ihre Einsätze planen, sind überall anzutreffen, unter anderem auch in der besonders betroffenen Stadt Cesena: „Wir sind heute gekommen und werden morgen hierher zurückkehren“, erklärte am Samstag der Student Stefano mit von Schlamm verschmiertem Gesicht. „Wir bleiben an der Seite jener, die uns um Hilfe bitten und zwar bis hier alles wieder so ist, wie es vor der Flut war.“

Hunderte von Tieren könnten noch sterben

Die „Angeli del Fango“ und ihre spontane Hilfsbereitschaft haben eine lange Tradition in Italien: Zum ersten Mal hatten sie vor über 50 Jahren Schlagzeilen gemacht, bei der verheerenden Überschwemmung von Florenz im November 1966. Damals kamen die Helfer zum Teil auch aus anderen Regionen und sogar aus dem Ausland. Auch in der Emilia-Romagna haben sich nun wieder viele Auswärtige gemeldet, auch Aktivistinnen und Aktivisten der Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“. Die Behörden dankten, lehnten die Hilfe aber zunächst ab: Angesichts von bereits 36 000 evakuierten Bewohnern hätte man ihnen keine Schlafgelegenheit anbieten können; außerdem waren bis zum Wochenende immer noch Dutzende von Straßen und Zuglinien unterbrochen.

Die Unterstützung der Freiwilligen und auch der Behörden konzentriert sich auf die Dörfer und Städte. Die Bauern, deren Felder zum Teil immer noch unter Wasser stehen, fühlen sich allein gelassen. „Wir leben noch, aber hunderte von Tieren drohen zu sterben“, klagt Giampietro Sabbatani, Direktor einer großen Landwirtschaftskooperative in der Nähe von Ravenna. Sein Betrieb, der drei Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten gewesen sei, habe immer noch kein Trinkwasser.

Wie hoch der Schaden ist, ist noch nicht einzuschätzen

Die Milchkühe konnten das verdreckte und kontaminierte Wasser der Flut nicht trinken. Der Betrieb wird nun mit Zisternen-Schiffen versorgt. Auch auf den Feldern und in den Obstplantagen sind die Schäden riesig. „Ich hatte 80 Hektar mit Birnen, Äpfeln, Pfirsichen, Aprikosen und Kiwi; davon ist mindestens die Hälfte zerstört“, sagt der Obstbauer Carlo Calderoni. Die Pflanzen seien von der Gewalt der Wassermassen entwurzelt worden. Er wisse noch nicht, ob sein Betrieb überleben werde.

Wie hoch die Schäden insgesamt sind, die die Jahrhundertflut in der Emilia-Romagna angerichtet hat, wagt derzeit noch niemand abzuschätzen. Der Präsident der Region, Stefano Bonaccini, rechnet allein für die Reparatur der Straßen und Zugstrecken mit Kosten von 620 Millionen Euro. Ein Teil dieser Schäden hätte vermieden werden können, wenn die Dämme und Kanäle regelmäßig repariert und wenn mehr Rückhalte- und Ausgleichsbecken gebaut worden wären.

Sobald der Schaden behoben ist, werden die guten Vorsätze vergessen sein

Aber das Lamento über die fehlende Wartung ist alt in Italien: Das Land wächst zwar – wie in diesen Tagen wieder – bei der Bewältigung von Notlagen über sich hinaus, aber es versagt, wenn es darum geht, solchen Notlagen vorzubeugen. Über mangelnde Prävention beklagten sich auch die Flutopfer nach den Überschwemmungen in den Marken vor einem Jahr und zuvor auf Ischia. Wenn die Schäden dann einmal behoben sind, werden die guten Vorsätze schnell wieder vergessen.

Der Minister für Infrastruktur, Lega-Chef Matteo Salvini, räumte in diesen Tagen ein, dass „Dutzende von dringend benötigten Dämmen“ seit Jahrzehnten geplant und auch finanziert wären, aber sie seien trotzdem nie gebaut worden. Sein Ministerkollege Nello Musumeci, zuständig für den Zivilschutz, pflichtet ihm bei. „Wir benötigen in allen Regionen neue Dämme und Rückhaltebecken.“

Die Pläne der Regierung in Rom

Speicher
 Der Minister für Zivilschutz, Nello Musumeci, hat die Pläne der Regierung bekannt gegeben: Man möchte ein System der Wasserspeicherung bauen, das in der Lage sei, 500 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter in 48 Stunden zurückzuhalten.

System
Hätte es ein solches System in der Emilia-Romagna schon gegeben, wäre die Region nicht überflutet worden: In der vergangenen Woche sind zwischen 200 und 300 Millimeter Regen gefallen.