Die Grünen freuen sich: Sie sind in Ludwigsburg stärkste Partei geworden. Foto: factum/

Kurz vor 23 Uhr ist die Sensation perfekt: Die Grünen sind erstmals in Ludwigsburg stärkste Partei bei der Europawahl. Kann die Ökopartei diesen Erfolg bei der Gemeinderatswahl ebenfalls einfahren?

Ludwigsburg - Um 22.37 Uhr ist die Sensation perfekt: 39 Kommunen müssen bei der Europawahl im Landkreis ausgezählt werden. Das letzte Ergebnis kommt aus Ludwigsburg selbst – und bringt die größte Überraschung: Die Grünen sind erstmals in der Geschichte der Stadt stärkste Partei. Mit 26,9 Prozent liegen sie vor der CDU mit 25,6 Prozent. Kreisweit erobern die Grünen zwar nur den zweiten Platz, verdoppeln aber nahezu ihr Ergebnis von 2014, landen bei starken 22,5 Prozent und müssen daher auch hier als klarer Wahlsieger gelten. Die CDU steht mit 29,6 Prozent zwar weiter vorne, rutscht aber erstmals unter die 30-Prozent-Marke und verliert fast sieben Prozentpunkte.

Die Sozialdemokraten halbieren auf Kreisebene ihr Resultat auf 13,8 Prozent, verteidigen aber den dritten Platz vor der AfD mit 9,9 Prozent. Diese profitiert wie die FDP (7,3 Prozent) vom Aderlass der einstigen Volksparteien, wächst aber weniger stark als erwartet.

Für Rainer Wieland hat das schwache Abschneiden der CDU keine Konsequenzen. Der in Gerlingen wohnende Politiker war als Spitzenkandidat der Christdemokraten in Baden-Württemberg ins Rennen gegangen und musste daher nie befürchten, seinen Sitz im Europaparlament zu verlieren – er bleibt der einzige Europaabgeordnete aus dem Kreis Ludwigsburg. Enttäuscht ist er am Sonntagabend trotzdem. „Das Ergebnis ist nicht berauschend, wir sind aber klar stärkste Kraft geworden“, sagt er in einer ersten Stellungnahme. Der Bundesabgeordnete Steffen Bilger wird deutlicher: „Ein bitteres Ergebnis.“

Grüne bei der Regionalwahl knapp hinter der CDU

Was Wieland und Bilger zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Bei der Wahl zum Stuttgarter Regionalparlament, die deutlich später ausgezählt wird, zeichnet sich gar ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU und den Grünen im Kreis Ludwigsburg ab. Für die Grünen gibt es also gleich viele Gründe zum Feiern – für diesen Montag haben sie zu einer Wahlparty in ein Café in Ludwigsburg geladen, dann wird auch das Ergebnis der Gemeinderatswahl vorliegen. Der Ludwigsburger Landtagsabgeordnete Jürgen Walter ist allerdings schon am Sonntagabend hörbar in Feierlaune: „In dem Maße habe ich nicht mit den Gewinnen im Land gerechnet“, sagt er. In Stuttgart sei massiv Stimmung gegen die Grünen gemacht worden, aber: „Das ganze Gehetze hat der CDU nichts gebracht.“ Für den Ludwigsburger Gemeinderat hofft Walter auf eine „andere Mehrheit jenseits der Parkplatz-Fraktion“, sodass man dort endlich Fortschritte in Richtung einer urbanen Stadt machen werde.

SPD: Nahles soll Parteichefin bleiben

Von den Zahlen der Grünen kann der SPD-Kreisvorsitzende Macit Karaahmetoglu nur träumen. Kreisweit schneiden die Sozialdemokraten genauso schlecht ab wie landesweit, in Hessigheim holt die SPD mit 9,6 Prozent gar nur ein einstelliges Ergebnis. Es sei im Moment eben so, dass die Volksparteien eine schlechte Phase hätten und die Grünen als modern gelten, sagt Karaahmetoglu. Einen Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles lehnt er ab: „Wir haben viele Wechsel an der Spitze gehabt. Ich bin mir nicht sicher, dass die Probleme mit der SPD-Vorsitzenden zusammenhängen.“

AfD und FDP unter den Erwartungen

Stefanie Knecht, die Vorsitzende der FDP im Kreis, bewertet das Abschneiden ihrer Partei bei der Europawahl mit gemischten Gefühlen. „Bundesweit ist das Ergebnis schon enttäuschend“, sagt sie. Zufrieden ist sie hingegen mit dem Resultat im Land. „Da liegen wir über dem Trend“, sagt Knecht. Für den AfD-Kreisvorsitzenden Michael Mayer ist das bundesweite Ergebnis der AfD „im Rahmen der Erwartungen“. Sicherlich habe der FPÖ-Skandal in Österreich die AfD zwei bis drei Prozent gekostet, aber mit dem zweistelligen Ergebnis könne die Partei zufrieden sein. Der Linken-Fraktionschef im Kreistag, Hans-Jürgen Kemmerle, ist angesichts von 3,1 Prozent ernüchtert: „Ich hätte mir mehr gewünscht“, sagt er. Das ist sicher kein Ergebnis, mit dem die Welt untergeht – aber eines, bei dem wir überlegen müssen, warum wir in so einer Situation nicht zulegen.“

Eine Zahl immerhin dürfte fast alle freuen an diesem denkwürdigen Wahlabend. Die Wahlbeteiligung im Kreis Ludwigsburg erreicht mit 66,9 Prozent einen neuen Spitzenwert.