Das Vorstandstrio bei Grammer geht. Welche Auswirkungen das hat, muss sich zeigen. Hier ein Blick in die Produktion von Fahrersitzen. Foto: dpa

Beim bayerischen Autozulieferer Grammer tritt die gesamte Führungsriege zurück – warum, darüber gibt es jede Menge Spekulationen. Zieht der chinesische Mehrheitseigner nun doch die Zügel?

Amberg - Es geschieht nicht alle Tage, dass alle Vorstandsmitglieder eines börsennotierten Unternehmens geschlossen ihren Rücktritt verkünden. Aber normal ist beim Amberger Autozulieferer Grammer schon länger nichts mehr. Erst hat die bosnische Investorenfamilie Hastor, die in der Autobranche keinen guten Ruf genießt, vergeblich eine feindliche Übernahme des Herstellers von Autositzen und anderer Komponenten geprobt. Dann haben Vorstand und Aufsichtsratschef Klaus Probst mit Ningobo Jifeng einen Wettbewerber aus dem vielfach angefeindeten China als weißen Ritter und neuen Mehrheitsaktionär aus dem Hut gezaubert. Der hält nun gut 84 Prozent. Die Verhältnisse schienen bis zum jetzigen Knall damit endlich klar.

Der Rücktritt von Grammer-Chef Hartmut Müller, Finanzvorstand Gerard Cordonnier und Technikvorstand Manfred Pretscher ist deshalb ein Paukenschlag. Zugleich lässt das koordinierte Vorgehen Raum für Spekulation. Mit den Chinesen soll der Schritt nichts zu tun haben, wird sowohl offiziell als auch hinter vorgehaltener Hand von mehreren Personen versichert.

Garantien für Standorte und die 13 000 Beschäftigten

„Der Aufsichtsrat bedauert das Ausscheiden außerordentlich“, kommentiert Probst den Verlust seiner kompletten Führungsriege. Die Investorenvereinbarung mit Ningbo Jifeng behalte aber ohne Abstriche ihre Gültigkeit. Sie umfasst Garantien für Standorte und die 13 000 Beschäftige umfassende Belegschaft sowie Zusagen für Strategie, Finanzierungs- und Dividendenpolitik. Die Chinesen wollen Grammer auch nicht von der Börse nehmen, keinen Beherrschungsvertrag abschließen sowie Marke und Patente nicht antasten. Daran ändere sich nichts, wird versichert.

Widersprüchlich zu dem klingt allerdings die Begründung Müllers für seinen jetzigen Schritt. Bis zuletzt hatte er betont hinter der Übernahme durch die Chinesen gestanden und sie aktiv betrieben. Mit seinem Rücktritt gebe er Aufsichtsrat und Großaktionär nun die Möglichkeit, „die künftige Ausrichtung des Unternehmens unabhängig von meiner Person zu diskutieren und damit notwendige Weichenstellungen einzuleiten“, erklärte er. Wenn aber alles so einvernehmlich ist und unverändert bleiben soll wie stets betont, wieso ist es dann jetzt notwendig, Weichen neu zu stellen, fragen sich auch einige im Amberger Unternehmen und darum herum.

Wollen Müller & Co Kasse machen?

Analysten und andere Finanzmarktexperten haben eigene Vermutungen für den Abgang des Trios. „Geld“, sagt einer. „Sie nutzen die Gunst der Stunde“, erklärt ein anderer. Gemeint ist eine Vertragsklausel nach der Vorstände zu lukrativen Konditionen kündigen dürfen, falls sich bei Grammer die Kontrollverhältnisse ändern. Dieser Passus sei als „Giftpille“ gegen Hastor während des Kampfs um die Macht finanziell verschärft worden, erinnert ein Experte. „Marktüblich angepasst“, heißt es offiziell. Bei einer feindlichen Übernahme gehen alle Vorstände, und sie müssen zudem noch teuer abgefunden werden, lautete die damalige Drohung. Stimmt die Vermutung, dass Müller & Co nun Kasse machen wollen, entfaltet die Giftpille eine ungewollte, gleichwohl rechtlich nicht zu beanstandende Wirkung und wird so zum goldenen Handschlag.

Dem Vorstandstrio stehen je drei volle Jahresgehälter zu. Im Fall von Müller summiert sich das auf gut 4,1 Millionen Euro, bei seinen beiden Vorstandskollegen auf je rund 2,3 Millionen Euro. Kein Vorstand geht sofort. Für Cordonnier ist Ende 2018 Schluss. Gleiches gilt dem Vernehmen nach für Müller. Pretscher will noch etwas länger vorübergehend weiter zur Verfügung stehen.

Aufsichtsratssitzung am Mittwoch

Eine dritte Version zur Erklärung der Vorgänge zielt auf ein persönliches Zerwürfnis vor allem Müllers mit den Chinesen während des Ringens um die Investorenvereinbarung. „Es waren keine konfliktfreien Verhandlungen“, sagt einer, der dabei war. Zwei Kulturen seien aufeinander geprallt. Müller habe dabei zwar alles für Grammer herausgeholt. Zum Weitermachen habe ihn das aber wohl nicht ermuntert.

Mehr Aufschluss über die Hintergründe bringt möglicherweise eine für Mittwoch angesetzte Grammer-Aufsichtsratssitzung. Speziell IG Metall und Betriebsräte wollen dort erfahren, was Sache ist und wie es nun weitergeht. Analysten glauben, dass die Neubesetzung des Vorstands einen Hinweis auf die Rolle der Chinesen gibt. Es müsse eine Diskussion über deren künftige Einflussnahme geführt werden, erklärte ein Unternehmenssprecher. Langweilig wird es bei Grammer vorerst wohl nicht.