Wer nachhaltige Mode kaufen will, darf nicht das erstbeste Kleidungsstück von der Stange mitnehmen. Foto: Unplash/Alyssa Strohmann

Viele Unternehmen werben heutzutage damit, nachhaltig und umweltfreundlich zu sein. Vertrauen kann und sollte man diesen Versprechen allerdings nicht, denn wer als Unternehmen tatsächlich nachhaltig sein will, muss sich anstrengen.

In ein paar Tagen bin ich auf einer Hochzeit eingeladen und bis vor Kurzem fehlte mir noch ein passendes Outfit. Erfolglos stöberte ich spätabends durch meinen Kleiderschrank, dann schaute ich auf der Website eines bekannten Online-Modehändlers. Ich fand ein hübsches Kleid, klickte mich durch die Beispielbilder, wählte die passende Größe und klickte auf „Kaufen“. Ohne einen Blick auf den Produktionsort zu werfen. Ohne mich über das Material zu informieren. Und ohne den Hersteller genauer unter die Lupe zu nehmen. Nachhaltig und umweltfreundlich war dieser Kauf sicher nicht. Ich könnte jetzt viele Gründe, darunter sinnlose Ausreden, für meine Shopping-Sünde nennen. Ein Grund mögen meine Zweifel an Begriffen sein, die in der letzten Zeit fast wie Konfetti von viel zu vielen Firmen verwendet werden: nachhaltig, ressourcenschonend, umweltfreundlich, klimaneutral oder ökologisch.

 

Grund für meine Skepsis sind mitunter Vorfälle, die mich an der Aufrichtigkeit von selbsternannten, „nachhaltigen“ Unternehmen zweifeln lassen und die zeigen, dass die Begriffe nicht geschützt sind. Da wäre zum Beispiele das Start-up Got Bag, das Rucksäcke aus Meeresplastik produziert. In der Vergangenheit wurde teilweise der Eindruck erweckt, dass die Rucksäcke zu 100 Prozent aus Meeresplastik hergestellt werden, zahlreiche Influencer bewarben oder bewerben weiterhin auf Instagram die Produkte und auch ich warf hin und wieder ein Auge auf die praktischen, minimalistischen Rucksäcke. Recherchen von „Zeit Online“ und dem Newsletter-Magazin „Flip“ zeigten dann, dass nicht der gesamte Rucksack, sondern nur das Gewebe vollständig aus Meeresplastik besteht. Das Unternehmen entschuldigte sich zwar und stellte die Lage auf seiner Website klar, einen Imageschaden hat das Ganze jedoch sicherlich hinterlassen.

Zweifelhafte Unternehmenspraktiken

Oder aber der dänische Unterwäschenhersteller Organic Basics, der ausschließlich „natürliche, erneuerbare, recycelte, biologisch abbaubare oder klimaverträgliche Textilien“ benutzt, so steht es zumindest auf der Website. Zudem seien sichere Produktionsstätten und faire Bezahlungen garantiert. Auch in meiner Schublade liegt ein Set des Unternehmens. Im Sommer war plötzlich die Website für mehrere Wochen nicht mehr erreichbar und auch der Kundensupport stand nicht zur Verfügung. Ende Juli kam dann eine Nachricht, die die tatsächlichen Nachhaltigkeitsbemühungen des Herstellers in Frage stellen: Das Unternehmen sei insolvent und werde an den israelischen Textilkonzern Delta Galil Industries verkauft. Galil vertreibt neben Eigenmarken auch Produkte von Adidas, Calvin Klein oder Tommy Hilfiger. Nach Wochen der Funkstille feierte Organic Basics Ende August die Rückkehr des Onlineshops mit einer Rabattaktion, entschuldigte sich und begründete den Verkauf des Unternehmens mit gestiegenen Produktionskosten. Dass mit dem Verkauf alle Nachhaltigkeitsbemühungen über Bord geworfen werden, kann dem Unternehmen natürlich nicht unterstellt werden. Doch zumindest ich zweifle jetzt die Standards des Unternehmens an.

Dass Nachhaltigkeit ohnehin ein wirklich hoch gestecktes Ziel ist, zeigt sich, sobald man sich näher mit diesem Konzept beschäftigt. Nachhaltigkeit ist zunächst einmal das Handlungsprinzip der Ressourcenneutralität. Dabei werden Ressourcen nur so weit verbraucht, wie sie wieder regeneriert werden können. Diese Erklärung wirft die Frage auf, ob Unternehmen überhaupt ressourcenneutral handeln können. Kann ein Textilunternehmen nur so viel Baumwolle verarbeiten, wie nachwächst? Oder können Elektroproduzenten so produzieren, dass nicht mehr Abfall und Giftstoffe in die Umwelt gelangen, als auch wieder abgebaut werden kann?

Umweltfreundliche Materialien reichen nicht

Nachhaltigkeit bezieht sich jedoch nicht nur auf die Rohstoffe, sondern meint alle Phasen des Lebenszyklus eines Produktes: Über Entwicklung, Materialbeschaffung, Produktion, Vertrieb und Logistik bis hin zu Entsorgung und Recycling. Der Outdoor-Bekleider Patagonia, ein Vorreiter in Sachen umweltfreundlicher Kleidungsproduktion, geht sogar noch ein Stück weiter und macht sich Gedanken, was mit den Gewinnen, die das Unternehmen erwirtschaftet, passiert. Nach Jahren des Wachstums und guter Bilanzen stellte man sich die Frage, wie es für das Unternehmen weitergehen könnte. An die Börse zu gehen, war für Patagonia zumindest keine Option und hätte in den Worten des Gründers Yvon Choinards „eine Katastrophe“ bedeutet. Denn wer Unternehmensanteile verkauft, steht unter Druck, kurzfristige Gewinne zu erwirtschaften, um Aktionäre zu halten, neue Aktionäre zu gewinnen und den Marktwert des Unternehmens hochzuhalten. Mitte September verkündete Patagonia deshalb: Alle Eigentumsrechte sollen an zwei neue Organe, den Patagonia Purpose Trust und das Holdfast Collective, eine Nichtregierungsorganisation (NGO), gehen. Jeder Dollar, der nicht in Patagonia investiert wird, soll die NGO für den Naturschutz und die Artenvielfalt aufwenden.

Gleich eine eigene NGO zu gründen, in die alle Gewinne fließen, kann natürlich nicht von jedem Unternehmen, das nachhaltig sein möchte, verlangt werden. Doch zuzugeben, wo Verbesserungspotenzial besteht, welche Aufgaben noch zu meistern sind und die eigenen Geschäfte nicht an fragwürdige Investoren zu verkaufen, ist sowohl für das Vertrauen von Kunden als auch für den Schutz der Umwelt unabdingbar.

Ich möchte weiter kritisch bleiben

Zurück zu meinem Kleid. Es besteht zu 96 Prozent aus Polyester und wurde in China produziert, die Lieferkette ist nicht nachvollziehbar. Wenigstens fühle ich mich darin wohl und werde es sicherlich bei guter Pflege noch viele Jahre tragen können. Das nächste Mal möchte ich dennoch wieder kritischer sein und Hersteller genauer unter die Lupe nehmen, denn wegen dem Fehlverhalten einzelner Unternehmen meine bisherigen Einkaufskriterien komplett über Bord zu werfen, wäre sicherlich der falsche Schritt. Schließlich sind mir eine transparente und ressourcenschonende Produktion oder sichere und faire Anstellungsverhältnissen wichtig. Hilfreich für die Kaufentscheidung ist auch der Nachhaltigkeitsbericht eines Unternehmens. Der Outdoor-Bekleider Vaude ist hierfür ein besonders gutes Beispiel, auf seiner Website können Lieferketten, Produzenten, Löhne, Emissionen oder Materialverbräuche detailliert eingesehen werden. Auch der Modehersteller Armedangels ist ein Vorbild für Unternehmen, die sich ernsthaft Gedanken über Umweltschutz auf verschiedensten Produktionsebenen machen.

Ein wenig Unsicherheit wird leider immer bleiben, schließlich sind Verbraucher abhängig von Informationen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Und ein perfekt produziertes Kleidungsstück gibt es ohnehin nicht, schließlich hat jedes Produkt einen Einfluss auf die Umwelt. Der nachhaltigste Pullover ist nun mal der, der schon im Kleiderschrank liegt.