Der Dieselabgasskandal macht dem Oberlandesgericht Stuttgart schwer zu schaffen. Foto: dpa/Silas Stein

Dem Oberlandesgericht fehlen aktuell 80 Richter, um die Mehrbelastung durch die Abgasverfahren aufzufangen. Und es kommt noch heftiger für die Stuttgarter Justiz.

Stuttgart - Einen Titel ist das Oberlandesgericht Stuttgart nach vielen Jahren wieder los. Nämlich den, bundesweit das OLG mit der im Durchschnitt kürzesten Verfahrenslaufzeit zu sein. Schuld am Verlust der Spitzenposition ist in allererster Linie der Dieselabgasskandal und die Tatsache, das in Stuttgart eine enorme Anzahl von entsprechenden Prozessen landen. 4816 solcher Berufungsverfahren, in denen zumeist Autokäufer Händler beziehungsweise Hersteller auf Schadenersatz verklagen, sind derzeit am Oberlandesgericht Stuttgart anhängig. Gleichzeitig stieg die Anzahl neuer Zivilverfahren am drittgrößten Oberlandesgericht Deutschlands im vergangenen Jahr auf den Rekordwert von 8760. Und klar ist schon jetzt: 2021 werden die nächsten Rekordmarken aufgestellt.

80 Richter fehlen

„Die Belastung unserer Zivilsenate mit immer komplexeren Verfahren sehe ich mit großer Sorge“, sagt Cornelia Horz, Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart, anlässlich eines Pressegesprächs. Mittlerweile befassen sich allein drei OLG-Senate nur mit der Abgas-Thematik. Wenn man den gebräuchlichen Personalschlüssel anlege, fehlten dem Gericht 80 Richter, so Cornelia Horz. Derzeit ist in Stuttgart ein Richter mit so vielen Verfahren betraut wie anderswo ein ganzer Senat. Insgesamt sind am OLG 117 Richterinnen und Richter an 40 Senaten tätig.

Jeder Fall muss eigenständig betrachtet werden

„Wir werden vom Dieselskandal überrollt“, sagt Richter Rainer Ziegler, der sich mittlerweile ausschließlich mit solchen Verfahren beschäftigt: „Dass man zeitnah reagiert, ist schlicht unmöglich.“ Es werden monatlich etwa 30 Fälle abgearbeitet, es kommen in diesem Zeitraum aber 200 neu hinzu – auch wenn bisher der Großteil der Berufungsklagen keinen Erfolg hatten. Und obwohl es sich am OLG in 80 bis 90 Prozent der Fälle um Daimler-Fahrzeuge handle, ließen sich die Verfahren nicht über einen Kamm scheren, so Ziegler, der darauf verweist, dass noch kein Musterprozess herangezogen werden könne. Jeder Fall muss eigenständig betrachtet werden, weil beispielsweise in einer Modellreihe unterschiedliche Motoren verbaut wurden, die auch nicht automatisch mit einer Abschaltfunktion für die Abgasreinigung versehen sind. Zeitverzögernd wirkt sich außerdem aus, dass es in diesem Bereich nur ganz wenige Sachverständige gibt, die für die benötigten Gutachten in Frage kommen.